»Sie verlassen den sanierten Sektor«

In Thüringen stehen bereits 45 000 Gebäude leer - für Kommunen wachsen die Probleme

  • Andreas Göbel, Gera
  • Lesedauer: 3 Min.

Herrenlose Gebäude und brachliegende Grundstücke werden nach Einschätzung von Experten Thüringens Kommunen künftig stark belasten. »Aufgrund der demografischen Entwicklung wird das in Thüringen immer mehr zum Problem«, sagte die Projektleiterin der Internationalen Bauausstellung Thüringen, Katja Fischer, der dpa. Die fehlende Nachfrage durch den prognostizierten Bevölkerungsrückgang werde den Leerstand deutlich verstärken. Ihren Hochrechnungen zufolge gebe es im Freistaat bereits jetzt etwa 45 000 leerstehende Gebäude, so Fischer.

Der Gemeinde- und Städtebund warnt ebenfalls vor einer solchen Entwicklung. Schon heute würden Erbengemeinschaften nicht in verfallende Häuser investieren, wenn keine ausreichenden Mieteinnahmen zu erwarten seien, erklärte Alex Peter, Baureferent des Verbands. Auch bestehende Hypotheken führten bereits jetzt häufig dazu, dass ein Erbe ausgeschlagen werde - auf den Kosten blieben am Ende die Kommunen und letztlich der Steuerzahler sitzen.

Ein anderes großes Problem stamme noch aus der Wendezeit, erklärte der Pressesprecher der Stadt Gotha, Maik Märtin: »Gebäude wurden damals oft in ganzen Paketen als Geldanlage erworben - viele Eigentümer wissen gar nicht so genau, was sie da genau besitzen und in welchem Zustand es ist.« In vielen der seit den 1990er Jahren leerstehenden Spekulationsobjekten seien die Schäden gravierend. Eine Lösung sei extrem schwierig.

»Der Leerstand in Thüringen ist ein strukturelles Problem, wir brauchen strukturelle Antworten«, sagte Fischer. Dringend nötig sei ein spezieller Fonds auf Landesebene, um die Kommunen bei Ankauf und Umwidmung von Gebäuden zu unterstützen, regte sie an. »Die Kommunen brauchen die Stadtentwicklungshoheit zurück.«

Besonders in den Stadtkernen sei der Abriss alter Bausubstanz häufig der falsche Weg, so Projektleiterin Fischer. Historisch gewachsene Gebäude seien oft Teil der Stadtgeschichte und des kollektiven Gedächtnisses. Eine neue Nutzung für Brachen zu finden, sei zwar anspruchsvoll und arbeitsintensiv, zahle sich aber am Ende deutlich stärker aus, stellte sie klar. 28 IBA-Projekte an 19 Standorten in ganz Thüringen sollen unter dem Projektnamen »LeerGut« in den kommenden Jahren zeigen, wie Altbauten mit neuem Leben erfüllt werden könnten.

Für viele Thüringer Kommunen ist der Kampf gegen den Leerstand bereits jetzt eine Herausforderung. So seien in Gera etwa zehn Prozent der Wohnungen von Leerstand betroffen, etwa 2400 lägen brach, teilte eine Sprecherin der Stadt mit. Aktuell müssten wegen des maroden Zustands der Häuser an drei Standorten Gehwege gesperrt werden. In einem Fall sei sogar die Komplettsperrung einer Straße nötig. »Die Lage ändert sich ständig, verfallene Immobilien werden saniert oder abgebrochen, neue kommen hinzu.«

Wenn sich Gebäude in Privatbesitz befinden, sind den Kommunen vielfach die Hände gebunden. Eine kreative Art, mit den Schandflecken im Stadtgebiet umzugehen, hat sich die Stadt Gotha einfallen lassen: »Vor den ganz schlimmen Ruinen haben wir Schilder mit dem Hinweis ›Sie verlassen den sanierten Sektor‹ aufgestellt«, erklärte Märtin. »Damit haben wir die Leute darauf hingewiesen, dass die Stadt zwar nicht im Besitz der Häuser ist, sich aber um eine Lösung bemüht.« Viele der Ruinen seien inzwischen verschwunden oder saniert. dpa/nd

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