Neuer Wehrdienst im Kabinett: Die Mär von der Freiwilligkeit

Nachdem Außenminister Wadephul sein Veto zurückzog, steht die Regierung nun hinter dem Wehrdienst-Gesetzentwurf

2023 ernannte der damalige und heutige Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) den heutigen Außenminister Johann Wadephul zum Oberstleutnant der Reserve.
2023 ernannte der damalige und heutige Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) den heutigen Außenminister Johann Wadephul zum Oberstleutnant der Reserve.

Es kommt nicht häufig vor, dass das Bundeskabinett im Verteidigungsministerium tagt. Genauer gesagt waren es seit der Deutschen Einheit zwei Mal: am 19. Februar 1992 unter Helmut Kohl und am 25. Oktober 2006 unter Angela Merkel. Damals erfreute sich Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) am Festhalten der Regierung an der Wehrpflicht, die wenige Jahre später trotzdem ausgesetzt wurde.

Nun also der dritte Termin im Verteidigungsministerium in drei Jahrzehnten: Am Mittwoch, den 27. August 2025, will das Bundeskabinett unter Friedrich Merz (CDU) den Wehrdienst-Gesetzentwurf von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) beschließen, nachdem Außenminister Johann Wadephul (CDU) am Montag seinen Einspruch zurückzog. Ende vergangener Woche hatte er einen sogenannten Leitungsvorbehalt eingereicht, da der Entwurf keine konkreten Zielgrößen für den Truppenaufwachs vorsieht. Die Vorlage von Pistorius geht nun unverändert ins Kabinett.

Um auf die von der Nato geforderte Truppenstärke von 260 000 Personen zu kommen, benötigt die Bundeswehr etwa 80 000 zusätzliche aktive Soldat*innen. Um das zu erreichen, sieht der aktuelle Gesetzentwurf eine Mischung aus freiwilligen und verpflichteten Maßnahmen vor: Ab dem kommenden Jahr soll in Anlehnung an das in Schweden praktizierte Modell an alle 18-Jährigen (also beginnend mit dem Jahrgang 2008) ein Fragebogen versandt werden. Männer müssen ihn ausfüllen, für Frauen ist das freiwillig. Dabei soll das Interesse am Dienst in der Bundeswehr abgefragt werden. Geeignete Kandidaten und Kandidatinnen werden dann zur Musterung eingeladen.

Darüber hinaus sieht der Entwurf ab 2028 vor, alle 18-jährigen Männer zu einer verpflichtenden Musterung vorzuladen – auch wenn sie sich nicht für den freiwilligen Wehrdienst entscheiden. Ziel ist es nach Angaben aus dem Verteidigungsministerium, ein »Lagebild« über die gesundheitliche Eignung deutscher Männer im wehrfähigen Alter zu erstellen.

»Man sollte erst mal abwarten, wie ein Gesetz wirkt, bevor man die Verschärfung fordert.«

Christoph Schmid
SPD-Bundestagsabgeordneter

Attraktiv soll der neue Wehrdienst unter anderem durch eine bessere Bezahlung werden: Alle Wehrdienstleistenden sollen künftig als Soldat*innen auf Zeit berufen werden. Damit gehe eine Bezahlung nach dem Bundesbesoldungsgesetz einher. Dem »Spiegel« zufolge liege der zukünftige Sold bei über 2000 Euro netto – eine Steigerung von etwa 80 Prozent im Vergleich zu den Bezügen der bisher freiwillig Dienstleistenden. Als weitere Anreize nennt das Verteidigungsministerium eine »unentgeltliche Unterkunft, freie Heilfürsorge, kostengünstige Verpflegung, kostenloses Bahnfahren«, sowie »Verpflichtungsprämien«, um junge Menschen länger an die Bundeswehr zu binden.

Sollten die Rekrutierungsziele auf diesem Weg nicht erreicht werden oder sich die Ziele an sich verändern, werde im Gesetz eine »verpflichtende Heranziehung ermöglicht«, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Es gebe aber »keinen Automatismus, keine festgelegte Zahl und keinen festgelegten Zeitpunkt für eine Aktivierung der Wehrpflicht«. Nötig ist auch die Zustimmung des Bundestags.

An diesem fehlenden Automatismus stören sich Teile der CDU. Auch nachdem Wadephul sein Veto im Kabinett zurückgezogen hatte, meldete Unionsfraktionschef Jens Spahn im »RBB« weiteren Gesprächsbedarf an. Konkret fordert der Politiker Zielmarken für die kommenden Jahre, deren Nichterreichen ein Umschwenken auf eine Wehrpflicht auslösen soll. Das Gesetz könne auch, nachdem es das Kabinett passiert hat, noch einmal im Bundestag beraten und verändert werden, merkte Spahn an.

Die SPD stemmt sich gegen Bestrebungen der Union, das geplante Wehrdienstgesetz in den Parlamentsberatungen nachzuschärfen. »Man sollte vielleicht erst mal abwarten, wie ein Gesetz wirkt, bevor man schon vorweg die Verschärfung fordert«, sagte der SPD-Verteidigungsexperte Christoph Schmid der »Augsburger Allgemeinen«. Im Spannungs- oder Verteidigungsfall würde die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht nach aktueller Rechtslage ohnehin automatisch wieder in Kraft treten. Damit könnten alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren eingezogen werden, sofern sie den Kriegsdienst nicht verweigert haben.

Indes berichtet der WDR von deutlich mehr entlassenen Soldat*innen aufgrund »rechtsextremistischer Vorfälle«. Das gehe aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksraktion hervor. Demnach stieg die Zahl von Soldat*innen, die ihren Job verloren, sich rassistisch oder rechtsextrem geäußert hatten oder in Verbindung zu rechtsextremen Gruppen standen, von 62 (2023) auf 97 (2024). Während das Bundesverteidigungsministerium laut WDR in der Antwort darauf verweist, dass es sich bei den erfassten »rechtsextremistischen Verdachtsfällen« gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigten »nur um ganz wenige Fälle« handele, warnt Zada Salihovic (Die Linke): »In manchen Fällen hatten die Beschuldigten weiterhin Zugang zu Waffen oder traten sogar als Ausbilder und Vorgesetzte auf. Im Hinblick auf die Gefahr durch militärisch ausgebildete Rechtsextremisten sind größere Anstrengungen nötig.«

Für die Regierung steht derweil wohl die Imagepflege im Vordergrund, schließlich sollen sich möglichst viele freiwillig zum Dienst melden: »Mit der Tagung des Kabinetts im Verteidigungsministerium setzt die Bundesregierung ein wichtiges Zeichen und unterstreicht, dass sie zur Bundeswehr steht«, hieß es bei der Bekanntgabe des Termins am Mittwoch. Worte, die aus der vorletzten Kabinettssitzung im Verteidigungsministerium stammen könnten. Im Protokoll zur Sitzung im Februar 1992 heißt es: »Der Bundeskanzler legt großen Wert darauf, dass deutlich wird, dass diese Bundesregierung zur Bundeswehr steht.« Mit Agenturen

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