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Beratungsverein: »Wir spüren die Verrohung deutlich«
Ein sächsischer Verein hilft Opfern von Diskriminierung. Er hat immer mehr zu tun
So offen wie in der Stellenausschreibung eines Sebnitzer Dachdeckers wird Diskriminierung nicht oft praktiziert. Er suche einen Lehrling, ließ der Handwerker im Frühjahr im Amtsblatt der sächsischen Kleinstadt wissen, aber »Hakennasen, Bimbos oder Zeppelträger« seien unerwünscht. Bei den ersten beiden Begriffen handelt es sich um abwertende Bezeichnungen für Juden und Menschen mit dunkler Hautfarbe.
»Derart deutlich passiert das selten«, sagt Jan Diebold von der Geschäftsführung des Antidiskriminierungsbüros Sachsen (ADB). Wenn es um Jobs oder Lehrstellen geht, seien subtilere Formen der Benachteiligung häufiger. »Da heißt es dann: ›Wir brauchen jemanden, der Deutsch spricht wie ein Muttersprachler‹, obwohl das für die Tätigkeit nicht erforderlich ist«, sagt er: »Auch so kann man rassistisch ausgrenzen.«
Das ADB Sachsen berät in solchen Fällen. Der Verein wurde 2005 kurz vor Inkrafttreten des Gleichbehandlungsgesetzes gegründet; im Oktober wird mit einer Festveranstaltung das 20-jährige Jubiläum gefeiert. In die Beratungsstellen des ADB in Leipzig, Dresden und Chemnitz kommen Menschen, die aufgrund einer Behinderung diskriminiert werden, wegen ihrer sexuellen Orientierung, des Geschlechts, der Religion, vor allem aber aus rassistischen Motiven. »Das betrifft 50 Prozent der Fälle«, sagt Diebold. Betroffen sind zum Beispiel schwarze Deutsche, aber sehr häufig auch Geflüchtete.
Fälle von Diskriminierung werden dabei aus allen Lebensbereichen geschildert. »Das Arbeitsleben ist ein großer Bereich«, sagt Diebold. Zuwanderer werden bei Stellenausschreibungen ausgegrenzt, erhalten ein geringeres Gehalt oder werden bei Beförderungen nicht berücksichtigt. Auch die Wohnungssuche gestaltet sich für Migranten oft sehr schwierig. 2017 wies das ADB mit einer später in Form einer Broschüre veröffentlichten Erhebung nach, dass Vermieter etwa auf ausländisch klingende Namen häufig abweisend reagieren. Zudem werden Diebold und seine Kollegen immer öfter mit Fällen von diskriminierendem Mobbing in Schulen konfrontiert: »Das nimmt sehr stark zu.«
»Da heißt es: ›Wir brauchen jemanden, der Deutsch spricht wie ein Muttersprachler‹, obwohl das für die Tätigkeit nicht erforderlich ist.«
Jan Diebold Antidiskriminierungsbüro Sachsen
Wenn bei betroffenen Kindern durch die Ausgrenzung die Gesundheit leidet, rät das ADB teilweise zum Schulwechsel. Eigentlich, sagt Diebold, sei aber »unser Anspruch, dass nicht Betroffene weichen müssen, sondern die Diskriminierung aufhört«. In einigen Fällen helfen dabei schon Gespräche mit der Gegenseite: »Manche Menschen benachteiligen unbewusst und unwillentlich.« In anderen Fällen muss auf das Gesetz und die dort vorgesehenen Sanktionen verwiesen oder sogar geklagt werden. Das ADB, das vom Freistaat gefördert wird und dessen Beratung kostenlos ist, kann vor Gericht die offizielle »Beistandschaft« für Betroffene übernehmen.
Die Chancen, sich erfolgreich gegen Diskriminierung zu wehren, seien je nach Lebensbereich sehr unterschiedlich, sagt Diebold. Im Arbeitsleben gebe es einen vergleichsweise hohen rechtlichen Schutz. Auf dem Wohnungsmarkt stehen die Chancen deutlich schlechter. Nachgewiesene Fälle von Diskriminierung könnten zwar mit Entschädigungszahlungen geahndet werden, aber »Zugang zu einer Wohnung lässt sich nicht erwirken«. Die größten »Schutzlücken« gebe es, wenn staatliche Stellen beteiligt sind: Schulen, Behörden, Polizei. »Da sieht das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz keinerlei Rechtsschutz vor«, sagt Diebold. Nur Berlin habe das per Landesgesetz geändert. In Sachsen hatten Expertinnen im Juni 2024 für ein Landesgesetz und eine Ombudsstelle plädiert. Die seit Herbst 2024 amtierende Koalition aus CDU und SPD verspricht indes nur vage, man wolle »Antidiskriminierungsarbeit weiter fördern«.
Dabei gäbe es viel zu tun, denn die Fälle von Diskriminierung nehmen zu. Beim ADB in Sachsen steigen die Fallzahlen stetig; 2024 waren es 581. Das mag zum Teil daran liegen, dass mehr Menschen auf die Beratungsangebote aufmerksam werden. Doch zugleich werde Benachteiligung immer offener praktiziert, sagt Diebold, ihre Verursacher bemühten sich oft nicht mehr, ihre rassistische Haltung zu kaschieren, und ließen es auf Klagen ankommen. »Es gibt eine stärkere Angriffshaltung«, sagt Diebold. Zum ADB kämen Menschen, die sagten, sie fühlten seit Jahren Benachteiligung und Ausgrenzung, aber inzwischen sei deren Ausmaß unerträglich: »Wir spüren die Verrohung des gesellschaftlichen Klimas und den Rechtsruck in unserer täglichen Arbeit.«
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