Wolf unter Schafen

Beim 4. Wolfsplenum zeigten Naturschützer und Bauern einander die Zähne

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf der Insel Rügen war früher der »letzten Wolf der DDR« zu sehen. Das Tier hatte in den Wäldern um Puttbus gelebt, wurde eingefangen und im Jagdschloss Granitz in einem Käfig zur Schau gestellt.

Inzwischen gibt es in Ostdeutschland wieder Wölfe in freier Wildbahn. Allein in Brandenburg, dem Bundesland mit der höchsten Wolfsdichte, leben 22 Rudel, erklärte Agrarstaatssekretärin Carolin Schilde am Mittwochmorgen im Potsdamer Museum der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte - kurz bevor dort das 4. Wolfsplenum stattfand. Naturschützer, Landwirte und Jäger sehen den Wolf aus verschiedenen Perspektiven. Ihre unterschiedlichen Positionen trafen am Mittwoch wieder einmal aufeinander. Die Staatssekretärin hoffte im Vorfeld, dass die Emotionalität, mit der die Debatte in den vergangenen Jahren geführt worden ist, etwas zurückgefahren werden könne.

Gegeneinander stehen aber die Ängste, die mit der Rückkehr des Wolfes entstehen, und die strikten Anforderungen des Artenschutzes. Der Bauernbund forderte die Landesregierung erneut auf, den Jägern zu erlauben, Wölfe zu schießen, die sich menschlichen Siedlungen oder Viehweiden auf weniger als 1000 Metern nähern. »Wir erkennen ausdrücklich an, dass Agrarminister Jörg Vogelsänger (SPD) sich inzwischen auf Bundesebene für eine Lockerung des strengen Schutzstatus einsetzt«, sagte Bauernbundvorstand Marcus Schilka. »Jetzt muss er auch in Brandenburg handeln, damit wir unsere wehrlosen Schafe und Kälber verteidigen dürfen, alles andere wäre inkonsequent.«

Schilka hält nichts von Überlegungen, die Herden noch besser zu schützen. »Das Wettrüsten mit höheren Zäunen und schärferen Herdenschutzhunden führt die Weidetierhalter in ein ökonomisches Fiasko, mit oder ohne Fördermittel«, befürchtet der 34-jährige Biobauer aus Guhrow im Spreewald. Die einzige weltweit erprobte und dauerhaft wirksame Maßnahme zum Schutz von Weidetieren sei es, dem ursprünglich scheuen Wolf durch Abschüsse wieder Respekt vor dem Menschen und seinem Eigentum beizubringen. »Deshalb brauchen wir auch keine Experimente mehr mit Gummigeschossen und Lebendfallen«, sagte Schilka. »Wir brauchen einen Minister, der entscheidet.«

Dagegen erklärte NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller vor kurzem: »Nicht ob, sondern wie wir mit dem Wolf leben können, ist die entscheidende Frage.« Man brauche keine Diskussion um die Begrenzung der Wolfsbestände, sondern bestenfalls die Optimierung im bestehenden und bewährten Wolfsmanagement.

»Brandenburg hält sich an europäisches Artenschutzrecht«, unterstrich Staatssekretärin Schilde. Sie warnte ausdrücklich vor Selbstjustiz am Wolf. Wer einen Wolf auf eigene Faust töte, mache sich strafbar und riskiere seine Jagdlizenz.

Als seltene Ausnahme erwähnte Schilde den »Problemwolf«. Ein solches Tier habe die natürliche Scheu vor dem Menschen verloren und werde ihm gefährlich. Dann darf es eingefangen, verjagt und im Notfall auch abgeschossen werden. Doch ein Wolf, der ein Schaf oder ein Kalb reißt, verhält sich aus Sicht des Agrarministerium artgerecht und wird nicht als »Problemwolf« bewertet. Als vor einigen Monaten ein junger Wolf durch Rathenow schlich, war die Aufregung groß. Doch das Tier verzog sich wieder.

Inzwischen hat das Land Brandenburg zwei Wolfsbeauftragte eingesetzt. Es sollen noch zwei weitere dazukommen. Es gibt finanzielle Unterstützung, wenn sich Schaf- und Ziegenhirten Schutzhunde für ihre Herden anschaffen. 2018 wird in Groß Schönebeck in der Schorfheide ein Herdenschutz- und Wolfsberatungszentrum seine Tätigkeit aufnehmen.

In den vergangenen zehn Jahren haben Gutachter in 503 Fällen geprüft, ob es wirklich Wölfe waren, die ein Nutztier gerissen haben. In 275 Fällen haben die Gutachter diese Vermutung bestätigt. Bei etwa der Hälfte konnte nicht ausgeschlossen werden, dass ein Wolf verantwortlich für den Tod des Nutztiers war. Über 150 000 Euro Entschädigung wurde an Landwirte gezahlt. Bedingung für eine finanzielle Entschädigung vom Land sind effektive Schutzmaßnahmen, etwa ein hoher Zaun. Auf die Frage, wie viele Rudel das Land Brandenburg vertrage und wo sie eine Obergrenze ansiedle, sagte die Staatssekretärin, dass es eine solche Zahl nicht gebe. Wie auch bei Biber und Kormoran würden aber von einer bestimmten Dichte an neue Fragen gestellt werden. Das größere Problem in den Wäldern seien gegenwärtig die ungebremst zunehmenden Bestände an Rot-, Reh- und Schwarzwild, welche die Schonungen so kahl fressen, dass die Verjüngung des Waldes in Frage steht. Dieses »Überangebot« an Nahrung lässt erwarten, dass sich der Wolfsbestand in Brandenburg rasch vergrößert, denn aus seiner Perspektive lebt der Wolf hier im Paradies.

Im Wesentlichen »bedient« sich der märkische Wolf auch an dem, was Mutter Natur ihm bietet. Nur ein Prozent seiner Nahrung bestehe aus Nutztieren, haben Fachleute festgestellt. Ein Rudel von zehn Wölfe benötigt im Jahr rund 500 Beutetiere. Laut Staatssekretärin wird derzeit eine Wolfsverordnung erarbeitet, die in den kommenden Wochen unter Beteiligung von Umwelt- und Bauernverbänden weiter qualifiziert werden soll. Die neue Fassung des Wolfs-Managementplans soll im vierten Quartal 2017 vorgestellt werden.

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