Wenn das Fahrzeug zum Geschoss wird

Amtsgericht Tiergarten verhandelt über einen gefährlichen Raser, der vielen Menschen Unglück gebracht hat

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Ibrahim El-F. 21 Jahre jung, in Berlin geboren, ist so ein »Was-guckst-du-Typ«. Man schaut besser an ihm vorbei, wenn sich die Blicke begegnen sollten. Kräftig geformt. Da ist viel Kraft dahinter. Beruflich läuft es noch nicht so richtig. Unternehmer, Online-Handel, gibt er als Tätigkeit an, Geld hat er damit noch nicht verdient.

Mit einem »gefährlichen Werkzeug« hat er andere »körperlich misshandelt«, heißt es in der Anklage. Die einzelnen Punkte: gefährliche Körperverletzung, Gefährdung des Straßenverkehrs, Unfallflucht, Fahren ohne Fahrerlaubnis. Wegen seiner 21 Jahre gilt er als Heranwachsender, deshalb wird sein Fall vor einer Jugendkammer verhandelt. Mit 17 Jahren hat er seinen Führerschein gemacht, war im Autofahren also nicht mehr ganz unerfahren. Schnelle Autos und zeigen, was man kann - das war seine Welt, obwohl er sich keines dieser Autos leisten konnte.

Der 31. Januar 2016 hat das Leben von zwei jungen Frauen, beide alleinerziehende Mütter, beide wollten Erzieherinnen werden, auf dramatische Weise verändert. Es wird nichts mehr so sein, wie es bis dahin war. Ihren Traumberuf werden sie nicht ausüben können, sagen die Ärzte. Die zahlreichen Brüche sind bis heute nicht verheilt, die Schmerzen immer noch unerträglich, die Angst ein ständiger Begleiter.

Die beiden Freundinnen Angelina N. (27 Jahre) und Kim E. (31) treffen sich hin und wieder in einem Café in Wedding, bei Schischa und Alcopop, um ein wenig abzuhängen. In dieser Nacht wurde es spät, da bot der Wirt den beiden Ibrahim El-F. als Fahrer an. Er sei zuverlässig, in ein paar Minuten seien sie zu Hause. Die Frauen stimmten zu und dirigierten den Fahrer mit dem geliehenen Audi A7. Er stellte das Autoradio auf laut und donnerte los. »Nicht so schnell«, mahnten die Frauen, »hier ist 30 erlaubt.« Doch Ibrahim war schon bei 100 angelangt.

Hinter einer Brücke in Richtung Böttgerstraße am Gesundbrunnen macht die Straße eine Kurve, die man nicht einsehen kann. Ibrahim sah nichts, hörte nichts und verlor die Kontrolle. Er knallte gegen eine Bordsteinkante, streifte mehrere Betonpoller, ein Straßenschild und einer Laterne. Das Fahrzeug überschlug sich mehrfach, blieb auf der Fahrerseite liegen. Es gelang ihm noch, die Frauen aus dem Auto zu ziehen und legte sie auf eine Wiese. Bevor Rettungswagen und Polizei eintrafen, verschwand er in der Dunkelheit.

Er wurde schnell als Täter ermittelt und musste am 1. Juni 2016 seinen Führerschein abgeben. Vier Tage später saß er wieder am Steuer - ohne Papiere raste er durch Berlin. Wieder ein geliehenes Fahrzeug, wieder mit Tempo 100 in einer 30er-Zone. Als ihn eine Streife stoppen wollte, raste er davon, überfuhr mehrfach rote Ampeln, schaltete die Beleuchtung aus. Auch Alkohol war bei diesem Rennen mit sich selbst im Spiel. Wie ein Wunder wurde niemand verletzt. Schließlich wollte Ibrahim El-F. zu Fuß türmen, doch die Polizei war schneller. Nun sitzt er auf der Anklagebank.

Nach Reue hört sich das nicht an, was er von sich gibt. »Bei einem Allrad ist da nichts mehr zu halten, wenn plötzlich eine Kurve kommt.« So schnell werde es nicht gewesen sein, genaue Erinnerungen habe er nicht mehr, sagt er über seinen ersten Unfall. Das Radio sei zu laut gewesen. Irgendwann habe er sich bei den Frauen entschuldigt. Warum er getürmt sei, will die Richterin wissen. »Weiß nicht, vielleicht aus Panik.« Viel mehr ist aus Ibrahim El-F. nicht rauszuholen, zu stark sind seine Erinnerungslücken. Er sei zum Führen eines Fahrzeuges ungeeignet, konstatiert die Polizei. So, wie er auftritt, ist zu befürchten, dass er bald wieder ein geliehenes Auto als Waffe einsetzt.

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