Gewerkschaften in Frankreich: Quo vadis?

Die französischen Beschäftigtenverbände stützen Macron - trotz seiner geplanten Angriffe aufs Arbeitsrecht

  • Bernard Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.

Egal, wie sie ausgeht, die französische Präsidentschaftswahl - ihr Ergebnis wird die Gewerkschaften des Landes vor neue Herausforderungen stellen, während diese selbst sich im Umbruch befinden. Als Gradmesser für die Veränderungen in der gewerkschaftlichen Landschaft wurden Zahlen interpretiert, welche das französische Arbeitsministerium Ende März verkündete: die Wahlergebnisse der betrieblichen Interessenvertretungen für den Zeitraum 2013 bis 2016. Demnach gelang es dem rechtssozialdemokratisch geführten Gewerkschaftsdachverband CFDT (Confédération Française Démocratique du Travail), dessen Basis übrigens weniger neoliberal ausgerichtet ist als seine Spitze, sich erstmals vor den historisch ältesten Dachverband CGT (Confédération Générale du Travail) zu setzen.

Die Tarif- oder Verhandlungsfähigkeit von Gewerkschaften - französisch »représentativité« genannt - hängt seit einem Gesetz vom August 2008 von den Wahlen zur betrieblichen Interessenvertretung ab. Das Gesetz hatte die Regierung Nicolas Sarkozys erlassen, mit dem Ziel, die CGT und die CFDT einzubinden und die seinerzeitigen Krisenproteste aufzufangen. Zuvor waren kleinere, rechte Gewerkschaften oft künstlich »tariffähig« gehalten worden, um es Arbeitgebern zu erlauben, an der CGT vorbei zu verhandeln. Dies ist seit 2008 so nicht mehr möglich.

Alle vier Jahre wird nun die Tariffähigkeit auf überregionaler Ebene neu bemessen. Danach erzielte die CGT in den letzten vier Jahren nur noch 24,9 Prozent der Stimmen, gegenüber 26,77 Prozent im vorherigen Zeitraum. Die historisch mit Teilen der DGB-Gewerkschaftsführungen in Deutschland kooperierende CFDT kam dieses Mal auf 26,4 Prozent, zuvor waren es 26 Prozent. Die bürgerliche Presse schlachtete dies aus, um die CGT als überholt und ins Hintertreffen geraten darzustellen.

So einfach liegen die Dinge selbstverständlich nicht, und seit den Protesten gegen das »Arbeitsgesetz« von 2016 hat die CGT eher wieder das Heft der Initiative in der Hand. Dies wird freilich durch den statistischen Apparat in Frankreich nicht erfasst. Gegenläufig zum Trend der schrumpfenden Basis bei der CGT sind auch die Ergebnisse bei den Vertretungswahlen der Kleinbetriebe unter 20 Beschäftigten. Hier lag im Dezember die CGT deutlich vorne.

Würde nun Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National (FN) die Wahl gewinnen und ihr Programm durchsetzen, würde der Einfluss von Branchen- und Dachverbänden deutlich eingeschränkt. Tariffähig wären dann nur noch die Einzelgewerkschaften im Betrieb. Le Pen propagiert die Änderung unter dem Motto »Gewerkschaftsfreiheit«, insofern diese in ihren Augen eine möglichst »ideologiefreie«, an betrieblichen Belangen orientierte Mitbestimmung fördern würde. In der Realität jedoch dürfte eine derartige Reform den unternehmensnahen »gelben« Gewerkschaften Auftrieb verschaffen.

Der unabhängige Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron trägt keinen ähnlichen Frontalangriff vor, fordert aber mit anderer Begründung die Gewerkschaften dazu auf, sich auf die betriebliche Ebene und auf »Sachpolitik« zu konzentrieren. Mit anderen Worten: Von gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzungen sollten die Organisationen der Arbeiterschaft in Zukunft die Finger lassen. Dennoch rufen für das Wochenende alle Gewerkschaftsvorstände zur Wahl Macrons auf, um das sichtlich größere Übel Le Pen zu stoppen. Eine Ausnahme bildet einzig der politisch schillernde Dachverband Force Ouvrière (FO), der sich auf seine »politische Zurückhaltung« beruft. Außerdem vertritt eine innergewerkschaftliche Minderheit, unterstützt von der eher kommunistisch-orthodoxen Chemiegewerkschaft sowie von der eher radikal-linken Mediengewerkschaft CGT Info’Com, die Linie »weder Macron noch Le Pen«.

Doch auch die vordergründig breite gewerkschaftliche Unterstützung des »kleineren Übels« Macron geht offenbar nicht mit einer Zustimmung zu dessen Programm einher. Ganz im Gegenteil: Macron verspricht, schon im Sommer nach seiner Wahl das Arbeitsrecht auf dem Verordnungsweg zu »reformieren«. Mit Hilfe seiner geplanten Arbeitsrechts»reform« will Macron Vereinbarungen auf Unternehmensebene erleichtern, die vom Arbeitsrecht abweichen. Bei den Gewerkschaften kommt er damit nicht an - außer bei Teilen der CFDT.

Laut einer Umfrage für die arbeitsrechtliche Fachzeitschrift »Liaisons Sociales« hatten 48 Prozent der SympathisantInnen der CFDT Macron sogar schon in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl gewählt. Dagegen bleibt dieser bei der CGT oder den linken SUD-Gewerkschaften (»Solidaire, unitaire, démocratique«) unter ferner liefen. Deren SympathisantInnen hatten zu 51 respektive 53 Prozent den Linkskandidaten Jean-Luc Mélenchon unterstützt.

Über das Wahlverhalten ihrer Mitglieder sollten die Gewerkschaften nachdenken, zumal sieben Prozent der - sozial weniger unzufriedenen - SympathisantInnen der CFDT sowie 13 Prozent derer von SUD/Solidaires und 15 Prozent der Beschäftigten mit CGT-Sympathien beim ersten Wahlgang im April für Marine Le Pen gestimmt haben. Und zumindest eines ist gewiss: Die Gewerkschaften werden bald in Schwung kommen müssen, um geplanten drastischen sozialen Verschlechterungen nach der Wahl entgegenzutreten.

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