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Fünf Minuten des weißen Mannes

Von Paula Irmschler

  • Paula Irmschler
  • Lesedauer: 2 Min.

»An allem sind die Männer schuld, Machos, meistens Weiße / Sie sind voll verantwortlich für die ganze Scheiße / Sie regieren diese Welt, sie haben zu viel Macht / Sie haben unseren Planeten auf den Hund gebracht / Gibt es größere Schurken - die Antwort lautet Nein / Doch auch lesbische schwarze Behinderte können ätzend sein«. Funny van Dannen beschrieb 1999 vortrefflich einen Reflex, der aktueller in linker Spaßmacherei nicht sein könnte: die Erleichterung darüber, dass sich der politische Feind mit Widersprüchen trägt, den er, der Internetheld und Satiriker, nun aufdecken muss.

Sicher wird sich Alice Weidel, Spitzenkandidatin der AfD für die Bundestagswahl 2017, dieser Tage denken »Ach ja! Ich bin ja eine Frau und obendrein noch lesbisch, was soll ich hier eigentlich?«, nachdem sie mit unzähligen Hinweisen und Witzen über ihre gesellschaftliche Rolle überschüttet wurde. Als »Nazi-Schlampe« bezeichnete der »extra 3«-Moderator Christian Ehring die Politikerin unlängst, um der AfD genüsslich vorzuhalten, wie politische Unkorrektheit geht. Dass die misogyne Beleidigung mehr über ihn selbst und seinen Humor aussagt als über die AfD, wird ihm nicht auffallen. Von den unzähligen Lesbenwitzen in den sozialen Netzwerken, deren anspielerisches Fundament sich gerade mal um die Feststellung dreht, die AfD sei irgendwie gegen Homosexuelle, ganz zu schweigen. Dabei ist rechte Ideologie selbstverständlich komplexer und sicher können Menschen jeglicher Couleur sich zusammenbasteln, die bürgerliche Gesellschaft gegen diverse Feinde verteidigen zu müssen. So kann man auch als Nichtweißer für eine Trennung der »Rassen«, als Frau für traditionelle Geschlechterrollen und als Homosexueller für die klassische Ehe und Familie sein. Solange man davon profitiert oder gar nicht profitieren will. Das hat es so schon immer in unterschiedlichen politischen Gefilden gegeben.

Neu ist hingegen das Ausmaß der diebischen Freude, die immer mehr, wie auch immer geartete Linke zu empfinden scheinen, wenn sie die scheinbar Marginalisierten mal überführen können. Antisexismus, Antirassismus und der sonst propagierte Kram werden dabei gern über Bord geworfen. Nun kann man auch mitmachen und die üblichen Witze bringen. Ein rechter Internettroll ist Legastheniker? Idiot! Ein Schwuler in der AfD? Irgendwas mit »von hinten«! Politikerinnen, die mit Torten beworfen werden? Höhö, Sperma, Pornologo drauf! Der Deutsche lässt sich seinen Nach-unten-tret-Humor nicht nehmen. Er nennt es Satire und ist den rechten Widersprüchlern nur allzu dankbar, dass er auch als Linker mal ran darf und dass die, die er für sonst schützenswert hält, wohl doch keine besseren Menschen sind. Er aber schon. Endlich!

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