Der Schneemann im Backofen

Fünfzehn Jahre - von 1956 bis 1971 - funkte der Deutsche Freiheitssender 904

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 4 Min.
Achtung! Wir rufen den Postschaffner. Das dritte Wort im Telegramm ist die Lösung. Ende der Durchsage«. Das klang geheimnisvoll-konspirativ und sollte es auch sein. Mit Sprüchen dieser Art meldete sich der »Deutsche Freiheitssender 904«, ein Kind des Kalten Krieges zwischen Deutschland-Ost und Deutschland-West, 15 Jahre lang, von 1956-1971. Zu Beginn jeder Sendung folgte die bedeutungsschwere Behauptung, die Station sei »der einzige Sender der Bundesrepublik, der nicht unter Regierungskontrolle steht«. »Den Worten nach stimmte das sogar«, sagt Henry Köhler, der einen Film über den Sender gemacht hat und kürzlich in der Bücherstadt Wünsdorf über seine Recherchen dazu berichtete. »Allerdings sendete er nicht aus der BRD. Denn die Programme wurden in Ostberlin, später - noch etwas besser versteckt - in Bestensee bei Königs Wusterhausen produziert, und von Reesen bei Burg, 30 Kilometer vor der Grenze zu Niedersachsen, nach Norden, Westen und Süden abgestrahlt.« Zwar war die Erkennungsmelodie des Freiheitssenders »Freude schöner Götterfunken«, politisch aber damals ein Paukenschlag. Am Morgen des 17. August 1956 war durch das Bundesverfassungsgericht das Verbot der KPD in der BRD verkündet worden, und Punkt 20 Uhr ging ohne jegliche Vorankündigung »904« erstmals auf Sendung. Entsprechend war der Inhalt. Der Sender erklärte sich zur Stimme der demokratischen Opposition in der BRD und ließ an seiner politischen Stoßrichtung keinen Zweifel: gegen Wiederaufrüstung in Westdeutschland, gegen die Verfolgung Andersdenkender, gegen kapitalistische Ausbeutung in den Betrieben Der Coup war, genauso wie das offenbar schon lange erwartete Verbotsurteil, von langer Hand vorbereitet. »Schon 1953 hatte bei Burg der Aufbau der Sendeanlagen begonnen«, berichtet Köhler. »Alles geschah unter absoluter Geheimhaltung, wozu auch die Techniker verpflichtet wurden.« Alle Mitarbeiter hatten sich nicht mit ihren zivilen, sondern ausschließlich mit den ihnen verliehenen »Kampfnamen« anzusprechen. Dieses Verschwiegenheitsprinzip wurde dann in der Tat auch tatsächlich bis 1990, also weit nach Ende des Senders, durchgehalten. Dass so ein Sender auf DDR-Gebiet nicht ohne Absprache mit Moskau zu installieren war, liegt auf der Hand. So war die Frequenz auf Mittelwelle 904 kHz auch ein »Geschenk« der Sowjetunion an die deutschen Genossen. Offiziell gehörte sie dem sowjetischen Sender Radio Wolga, der einst darauf Sendungen für ein »Hilfskomitee zur Rückführung russischer Emigranten in die Heimat« ausstrahlte. Im Klartext ging es dabei vornehmlich um Aufrufe an desertierte Angehörige der Roten Armee, die man zur Rückkehr bewegen wollte. Doch das Unterfangen blieb recht erfolglos, weshalb die Frequenz 904 schon seit längerer Zeit außer Betrieb war. Von hier nun sendeten jeden Abend knapp zwei Stunden lang Mitglieder der verbotenen KPD ihre Kommentare zum politischen Geschehen in der BRD - zur Bekräftigung der Authentizität selbstverständlich in gepflegter hessischer oder rheinischer Mundart. Die Programm-Macher waren überwiegend junge Leute, aber auch profilierte Antifaschisten wie Emil Carlebach, der schon für die KPD im ersten Deutschen Bundestag gesessen hatte. Seine Hörer außerhalb des kommunistischen Spektrums gewann der Freiheitssender durch die aktuellen Schlager, die zwischen den Beiträgen liefen - ein Konzept, das später auch der Deutsche Soldatensender verfolgte (siehe ND-Beitrag vom 25.1., d. Red.). Dem Freiheitssender kam dabei zugute, dass brandaktuelle Rock- und Pop-Titel damals in den ARD-Sendern kaum zu hören waren. Offenbar bestanden da Absprachen mit den Schallplatten-Produzenten, und konkurrierende Privatsender im heutigen Sinne existierten nicht. Wer also die neuesten Scheiben von Kraus bis Valente hören wollte, fand sie außer bei RIAS Berlin, der im Westen kaum zu empfangen war, und Radio Luxemburg zuerst auf 904. Die zweite Säule im Sendekonzept des Freiheitssenders war der Konspirationskult. Die eingangs erwähnte »Durchsage« steht exemplarisch dafür. Sprüche wie »Achtung! Wir rufen die Dunkelmänner. Allen Ballast sofort abstoßen!« oder »Achtung, Postbote: Im Backofen liegt ein gebratener Schneemann« durchzogen jede Sendung. Filmautor Köhler sagt, ihm wurde berichtet, dass diese Sprüche - im Insider-Jargon »Eidechsen« genannt - frei erfunden waren und von jedem Redakteur zur Sendung mitgebracht werden mussten. Er bezieht sich dabei auf Aussagen des Spanienkämpfers und damaligen Chefredakteurs Heinz Priess (Foto: Archiv). Andererseits habe er selbst Protokollnotizen gesehen, aus denen hervorgeht, dass im Februar 1966 ein Redakteur abgemahnt wurde, weil er zwei »Eidechsen« nicht gesendet habe, die Botschaften an Kuriere gewesen seien. Der »Klassenfeind«, in dem Fall die »Bild«-Zeitung, hatte bereits am 30. August 1956, also schon zwei Wochen, nachdem 904 auf Sendung war, veröffentlicht, dass der Sender nicht irgendwo in der BRD, sondern in Burg bei Magdeburg steht. Dort stand die Anlage noch sehr lange auch nach der Abschaltung, ehe sie im vergangenen Sommer gesprengt wurde. Der Sender hatte sein letztes Zeichen schon am 30. September 1971 von sich gegeben. Die Resonanz war im Verlaufe der Jahre immer geringer geworden, die tatsächlichen BRD-Sender hatten in punkto Musik längst nachgezogen, und seit 1968 gab es mit der DKP ja auch wieder eine mit der DDR verbündete legale kommunistische Partei. Der beginnende Entspannungsprozess zwischen beiden deutschen Staaten besiegelte endgültig das Schicksal des Deutschen Freiheitssenders 904.

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