Nie wieder Verlierer sein

Am Maxim-Gorki-Theater bringt Sebastian Nübling »Get Deutsch Or Die Tryin’« von Necati Öziri auf die Bühne

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 4 Min.

»Get Deutsch Or Die Tryin’« (übersetzt: »Werde deutsch oder stirb beim Versuch«) ist angelehnt an das 2003 erschienene Debütalbum »Get Rich Or Die Tryin’« des US-amerikanischen Rappers 50 Cent, in dem der verzweifelte und schließlich scheiternde Kampf um Reichtum thematisiert wird. Das ist auch das Thema des Stückautors Necati Öziri: das Bemühen um Anerkennung im Gastland, um die Befreiung vom Verliererstatus und das unabwendbare Scheitern solchen Bemühens. Alle Figuren kämpfen mit wechselndem Erfolg um beruflichen Aufstieg und stabiles familiäres Glück.

Die junge Susanna presst zwischen den Zähnen hervor, dass sie »es schaffen« will und Savas ist traurig, dass es ihm nicht gelingt, Tätowierer zu werden. Der Hauptheld selbst muss auf dem Ausländeramt in demütigender Weise Beurkundungen abgeben und schließlich erklären, dass er nie gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßen will. Nur dann kann ihm die Einbürgerungsurkunde überreicht werden. Im zweiten Teil macht er sich am Grab seines in der ursprünglichen Heimat verstorbenen Vaters zum Sprecher der ewigen Verlierer, der Männer und Frauen, die »die Welt verbessern wollten«, aber am Dönerspieß oder in der Fleischhalle gelandet sind.

Gegen Ende erleben wir seinen wieder in Deutschland aufgetauchten Vater Murat, wie er sich über die Ungerechtigkeit seines deutschen Chefs beklagt und die längst fällige Erhöhung seines Mindestlohns einfordert. Zu Beginn sitzt der bald 18-jährige Arda auf einer Parkbank und bereitet sich gedanklich auf die Einbürgerungsprüfung vor. In diesem Zusammenhang denkt er sich eine Grabrede für seinen leiblichen Vater aus und lässt seine vier oder fünf Jahre auf der Bank im Park, die er mit seinen Freunden Savas, Danny und Bojan verbracht hat, Revue passieren. Er denkt an die jungen Russlanddeutschen in der nächsten Parkbankreihe oder an die »Kontis« (die Kontingentflüchtlinge, meistens Kasachen, Usbeken und Kroaten) in der übernächsten. Er erinnert sich an die Abenteuerzüge mit den Kumpels »die Bismarck hoch« oder wie sie beim Versuch, in den »Über-18-Club« zu gelangen, vom glatzköpfigen arabischen Türsteher gefilzt wurden.

Es ist sein letzter Tag auf dieser Bank, und als die Freunde ihn verlassen haben, malt er sich die Situation aus, in der sich Vater Murat und Mutter Ümran einst in einer Berliner Bar begegnet sind. Dann ist er tatsächlich in Konya und arrangiert eine Hochzeitsfeier, in deren Verlauf sein Vater eine zweite Frau heiraten wird. Vorher schon hat er seine in der Türkei gebliebene Schwester Aylin kennengelernt, die im Nachhinein die Flucht der anderen Familienmitglieder nach Deutschland als großes Unglück betrauert.

Scheinbar zusammenhanglose Bekenntnisse und Lieder lösen sich unvermittelt ab. Mutter Ümran singt von ihrem Traum von Almanya, und im jähen Bruch liest sie laut in der Anklageschrift gegen ihren Mann Murat, die von der türkischen Staatsanwaltschaft geschrieben worden ist. Zeiten und Handlungsorte gehen ineinander über, das Publikum hat es schwer, die Orientierung zu behalten. Zusehends macht sich ein Ton von Resignation und ohnmächtigem Aufbegehren breit. In der szenischen Darstellung dominiert immer mehr das Deklamatorische und Bekenntnishafte über das konkrete szenische Partnerspiel. Schauspielerische Einzelleistungen sind die Ausnahme.

Einzig Dimitrij Schaad als der junge Arda bleibt in Erinnerung. Im ersten Teil hastet er noch, als wolle er sich nicht in Reminiszenzen verlieren, durch den Text. Schließlich aber lässt er Ardas Widerspruchsgeist erwachen. Etwa, wenn er den Sozialpädagogen, die Türken keine Perspektive zubilligen, trotzig entgegenhält, dass das Leben im Exil den Flüchtlingen mehr an Erkenntnissen gebracht habe als den gleichaltrigen Deutschen das brave Gehorchen beim »Schlürfen der Kürbissuppe« im elterlichen Haus.

Im heiligen Zorn macht er sich später zum Sprecher der Gescheiterten. Den Vater beschwört er mit Händen und Füßen angesichts von dessen Klagen über deutsche Ungerechtigkeit: »Renne fort!« Weil er begreift, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse Proteste von Ausländern nicht fördern, mildert er seine Wut über des Vaters Passivität ab und ringt sich - das erste Mal im Leben - zur Frage durch: »Warum hast du uns damals verlassen?«

Hinsichtlich ihrer szenischen Präsentation bleibt die Inszenierung hinter anderen Regiearbeiten des Regisseurs Sebastian Nübling zurück. Der Versuch, die Langeweile des Exilantenlebens kenntlich zu machen durch die ständige Wiederholung von Mutters Alkoholabstürzen, und das wiederholte Springen nach der Discokugel haben nur begrenzte Veranschaulichungskraft. Ebenso wie die mal exaltierten, mal zeitlupenartigen Tanzbewegungen der mit grellbunten Federhelmen ausgestatteten Mitspieler in der Berliner Bar, dem Begegnungsort von Ardas Vater und Mutter. Insgesamt ein Abend der erregten Worte und Erklärungen, weniger des subtilen szenischen Spiels.

Nächste Vorstellungen: 28. Mai, 4. und 5. Juni

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