Macron plant Sozialabbau per Dekret

Neuer Präsident Frankreichs beratschlagt mit Gewerkschaften über Arbeitsmarktreformen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Emmanuel Macron macht mit seinen Reformplänen ernst. Der neue Präsident Frankreichs hat am Dienstag im Elysée-Palast die acht wichtigsten Gewerkschaften und Unternehmerverbände Frankreichs zu Konsultationen über die von ihm geplante Reform des Arbeitsrechts empfangen. Ab Mittwoch schließen sich weitere Gespräche mit Premierminister Edouard Philippe und Arbeitsministerin Muriel Pénicaud an. Weil Macron die Arbeitsrechtsreform für überfällig hält und in kürzester Zeit umsetzen will, soll sie nach seinem Willen per Dekret eingeführt werden.

Das normale Verfahren ist Macron zu langwierig, weil ein entsprechendes Gesetz ins Parlament einzubringen und dort in beiden Kammern in jeweils zwei Lesungen diskutieren und beschließen zu lassen erfahrungsgemäß mehr als ein Jahr dauert. Allerdings darf der Präsident entsprechende Dekrete nur erlassen, wenn ihm das Parlament dieses Recht zuvor eingeräumt hat. Die dafür notwendige Parlamentsmehrheit hofft Macron durch einen Erfolg seiner Kandidaten von »La République en marche« bei der Wahl im Juni zu erlangen.

Die Haltung der Gewerkschaften Macrons Vorhaben gegenüber ist skeptisch bis ablehnend. »Das Gespräch mit dem Präsidenten war konstruktiv«, erklärte der CGT-Vorsitzende Philippe Martinez, »aber ich habe ihn gewarnt, über das Schicksal der Arbeiter entscheiden zu wollen, während die im Urlaub sind«. Auch Laurent Berger, Generalsekretär der großen CFDT, der wie der Präsident das Arbeitsrecht für »zu bürokratisch und änderungsbedürftig« hält, warnt: »Wenn Emmanuel Macron die Dinge im Husarenritt ändern will, hat er sich getäuscht.« Auch wenn er das Recht per Dekret ändert, wird ihn das nicht vor sozialen Konflikten bewahren.»

Für die CGT sind Dekrete «absolut inakzeptabel». Einig sind sich alle großen Gewerkschaften, dass es nicht bei unverbindlichen Konsultationen bleiben darf, sondern dass es echte Verhandlungen zwischen ihnen und der Regierung geben muss.

Der CGT-Vorsitzende Martinez erinnert daran, dass seit 2007 per Gesetz vorgeschrieben ist, dass jegliche Änderung des Sozialrechts mit den Gewerkschaften «abgestimmt» werden muss. Nach unverbindlichen «Konsultationen» und Alleingängen der Regierung, so lassen vor allem die CGT und Force Ouvrière durchblicken, könne es zu einem «heißen Herbst» mit massiven Demonstrationen und Streiks kommen wie 1995. Damals wollte der rechte Premier Alain Juppé eine Rentenreform im Schnellverfahren durchsetzen. Doch nachdem das Land durch Kampfaktionen wochenlang gelähmt war, musste er einen Rückzieher machen.

Diesmal sind die geplanten Reformen nicht weniger brisant. Macron ist überzeugt, dass ein wichtiger Grund für die anhaltende Arbeitslosigkeit, das vergleichsweise niedrige Wirtschaftswachstum sowie die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der französischen Unternehmen auf dem europäischen und dem Weltmarkt darin liegt, dass das französische Arbeitsrecht zu umfangreich, komplex und rigide ist. Er will vor allem kleiner und mittelständischer Betriebe ermutigen, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenzug stellt er ihnen eine Lockerung des Kündigungsschutzes in Aussicht. So sollen sie ihre Belegschaftsstärke leichter der Auftragslage anpassen können.

Macron will «den sozialen Schutz der Beschäftigten» erhalten und hält im Prinzip am Mindestlohn und auch an der 35-Stunden-Arbeitswoche fest, doch will er Ausnahmen bei der Entlohnung und der Arbeitszeit auf Betriebsebene aushandeln und vereinbaren lassen. Auch ganze Teile von Branchenvereinbarungen sollen so vor Ort abgeändert und «angepasst» werden können.

Die Gewerkschaften sehen in den geplanten Betriebsvereinbarungen und Belegschaftsabstimmungen einen Versuch, die Mitarbeiter unter Druck zu setzen und den Einfluss der Gewerkschaften zu beschränken. Schließlich war Macron vergangenen Sommer als Wirtschaftsminister unter seinem Amtsvorgänger François Hollande zurückgetreten, weil er mit seinen unternehmerfreundlichen Reformvorschlägen nicht durchgekommen war. Damals scheiterten sie auf Grund massiver sozialer Proteste. Jetzt nimmt Macron als Präsident einen zweiten Anlauf.

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