Dunkle und helle Tage

»Schlafen können wir später« - ein Briefroman von Zsuzsa Bánk

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 3 Min.

Von März 2009 bis Juni 2012, also etwas mehr als drei Jahre lang, wechseln zwei Frauen, Anfang Vierzig und »mitten im Leben«, einige Hundert Briefe miteinander. Das heißt, sie teilen sich fast täglich ihre großen und kleinen Probleme, ihre Belastungen und Glücksmomente, Gravierendes, ja sogar Tödliches und auch schrecklich Belangloses mit (von letzterem zu viel). Sie berichten und erzählen von dunklen und von hellen Tagen. Dieses Briefeschreiben ist zwar in heutiger Zeit etwas ungewöhnlich und - bedenkt man zudem die Doppelbelastung der beiden, wie so vieler Frauen durch Beruf und Privates - auch nicht ganz glaubwürdig; es ermöglicht der Autorin aber, anhand eines Dialogs die Probleme von Frauen dieser Generation »durchzuspielen«. So wichtig das ist, es gelingt leider nicht ganz, führt im ersten Teil, also dreihundert Seiten lang, zu ewigen Wiederholungen immer des Gleichen. Erst im zweiten Teil wird das Geschehen intensiver, wird auch durch eine dritte, alternative Frauengestalt deutlich, dass es explizit um Frauen und ihre Selbstfindung, vielleicht auch nur um das Zurechtfinden in neuen Rollen, geht. Man könnte das natürlich schon durch die Einbeziehung der romantischen Dichterin Annette von Droste-Hülshoff ahnen, deren Worte und Sätze, samt ihrer vagen Existenz, wie Licht und Schatten, wie Blumen und welke Blätter durch die Briefe flattern und sich zur schroffen Gegenwart querstellen.

Zunächst seien die beiden Briefe-Schreiberinnen vorgestellt. Márta, Tochter ungarischer Eltern, lebt mit ihrem Partner und ihren drei kleinen Kindern in Frankfurt am Main. Sie ist Schriftstellerin, hat Gedichte und Erzählungen veröffentlicht und arbeitet gerade an einem neuen Erzählungsband. Die Buchtitel verraten etwas über die Wahrnehmung ihrer Existenz: »Grobe Fährten«, »Nacht und Tag« und, so das neue Buch: »Das andere Zimmer«. Schreibend in ein »Anderes Zimmer« zu gehen, gelingt ihr nur selten in einem kräfteverzehrenden Alltag zwischen Haushalt, Kinderproblemen und -sorgen, ständigem Geldmangel sowie einem Schauspieler-Partner und wenig erfolgreichen Autor, der sich ständig in seine Theaterwelt verkrümelt.

Johanna ist Oberstudienrätin an einem Gymnasium im Schwarzwald, weit abgelegen vom Großstadtlärm, die Welt ein wenig durchtränkt von »Tannenduft, Köhlergesang, Holländermichel« und Schneeflocken hinter den Fensterscheiben. Aber eine Idylle ist ihr Leben nicht. Sie hat gerade eine Krebserkrankung hinter sich gebracht und muss die Trennung von ihrem geliebten langjährigen Partner, dem »alten Dämon« Markus, verkraften, der immer wieder in ihre Träume kommt.

Johanna arbeitet an einer Doktorarbeit über die Droste. Sehr oft weilt sie deshalb an deren Dichterorten. Das schafft ihr Distanz und gibt dem Buch eine Note der Nachdenklichkeit über Gegenwärtiges hinaus.

Beide Frauen sind seit ihrer Kindheit sehr eng, ja liebevoll verbunden, auch wenn sie unterschiedliche Wege gingen. So kann die Autorin in ihre Gespräche Fäden in die Vergangenheit knüpfen, ganz unterschiedliche Elternwelten schildern, Zeitbilder einer alten multikulturellen Bundesrepublik-Welt. Die Zukunft bleibt offen, aber nicht nur hell wird sie sein. Das ahnt man.

Zsuzsa Bánk gelingen die Frauengestalten nicht in gleicher Weise. Johanna mit dem schweren Loslösungsprozess ist überzeugender als die ewig, oft auch zu Unrecht, jammernde Márta.

Am schönsten sind die Naturschilderungen, die sie auch ein wenig der Droste abgelauscht hat: »Der Winter kommt mit dem Windhundgespann. Bedeckt meine Disteln und Bachnelken. Meinen Blutweiderich. Eisblumen streut er ans Fenster. Wir alle werden lange auf den Frühling warten müssen.«

Zsuzsa Bánk: Schlafen können wir später. Roman. S. Fischer Verlag. 683 S., geb., 24 €.

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