Sozialarbeit ist Security
Die richtige Prävention bewahrt Menschen vor dem Abdriften in den islamistischen Terrorismus, meint Roberto J. De Lapuente
Sondierte man an jenem Freitagabend, an dem Rock am Ring kurzzeitig unterbrochen war, ein bisschen die Netzwerke, so konnte man sich ein Bild der allgemeinen Gemütslage machen. Die lautete ungefähr so: Wir lassen uns von denen die Party nicht verderben. Oder aber: Wir müssen denen zeigen, dass sie uns nicht in die Knie zwingen können. Natürlich ist das demokratischer, ja gesunder Trotz. Aber in ihm schwingt etwas mit, wann das Dilemma in all den Debatten ist, die man jetzt zum Thema Terrorismus führt. Denn die Spezifikation in »Wir und die anderen« erzeugt die Ansicht, als seien Radikalisierung und der in einzelnen Fällen daraus entstehende Terrorismus etwas, was von außerhalb der Gesellschaft aufgehalst wird.
Haargenau diesen Fehler sollten wir aber nicht machen, erklärt der Psychologe und Sozialarbeiter Ahmad Mansour in seinem Buch »Generation Allah - Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen«. Denn die islamistische Radikalisierung ist im globalisierten Europa nun mal kein Phänomen, das man per Ausweisungsbescheid in den Griff kriegen könnte. Die »Generation Allah«, wie er die jungen Frauen und Männer nennt, die sich in fundamentalistische Kreise begeben, stammen ja in vielen Fällen nicht mal aus muslimischen Familien, sondern kommen teilweise auch aus einem deutschen Umfeld.
Um für eine Radikalisierung in Betracht zu kommen, gibt es laut Mansour einige Prädispositionen. Ein Wiederholungsmuster ist beispielsweise die mangelnde Präsenz der Eltern, wie die emotionale Abwesenheit der Mutter durch nicht erkannte postpartale Depressionen etwa. Dadurch käme den jungen Menschen schon früh jene Fürsorge abhanden, die in der Adoleszenz zur emotionalen Stabilität beiträgt. Sich einer strikten Ordnung zu unterwerfen wirkt auf manchen als Ausweg. Mansour beschreibt zum Beispiel den Fall eines Mädchens griechischer Abstammung. Sie konvertierte nach schwieriger Kindheit und Jugend und heiratete einen salafistischen Mann, dessen Bevormundung sie als Fürsorge interpretiert. Diese Unterordnung nimmt ihr eine Last ab, weil sie endlich in Ordnung lebt, weil sie nun jemanden hat, der auf sie aufpasst. Ein solches Gefühl empfand sie bislang in ihrem Leben nicht.
Es ist wohl die mangelnde Orientierung vielfältiger Art, die junge Menschen in die Radikalisierung treibt. Dabei ist weitestgehend unerheblich, ob er aus einem muslimischen Haushalt kommt oder nicht. Wobei Mansour auch deutlich macht, dass die Radikalisierung muslimischer Jugendlicher aus eher liberalen Elternhaus gelegentlich heruntergespielt wird. So berichtet er aus seiner Praxis, dass viele muslimische Eltern große Furcht um ihren Nachwuchs verspüren, sie glaubten, er würde sozial abgleiten in dieser unübersichtlichen Welt des Westens. Findet er dann einen wohlbehüteten Platz in einem salafistischen Zentrum, schleicht sich bei diesen Eltern oft eher Erleichterung ein: Endlich habe der Spross seinen Platz gefunden.
Mansour lässt es nicht gelten, die »Generation Allah« als eine einseitige Entwicklung einzuordnen, die etwa nur aus sozialer Schieflage entstehe oder aber, weil es der Chic der Zeit oder ein Jugendtrend sei, sein persönliches Image auf diese Weise zu pushen. All das spiele zwar hinein, gerade auch die soziale Ausgrenzung und die Erfahrungen mit Rassismus sind wesentliche Faktoren. Aber die innerfamiliäre Konditionierung sieht er als den wesentlichen Ansatzpunkt. Herrscht dort elterliche Abwesenheit oder ein herrischer Ton, flüchten sich junge Leute in der Phase, in der sie nach ihrer Identität forschen, leichter in Radikalismen.
Dieses Phänomen ist insofern das Metier von Sozialarbeitern. Denen darf es nicht darum gehen, den jungen Menschen vom Islam abzuraten - Religion ist Privatsache. Ihnen Angebote zu machen, ihrem Leben einen konstruktiven Sinn zu geben, der nicht radikaler Natur ist: Da muss man ansetzen. Am besten schon in den Orientierungsjahren, vor einem Abgleiten. Bei den bereits »verlorenen Seelen« kann es freilich nur um Flurbereinigung gehen, darum, sie nicht als Frontkämpfer nach Syrien zu verlieren oder für Gewalttaten empfänglich zu machen.
In jedem Falle ist es aber so, dass wir mit denen zu tun haben – ob es uns gefällt oder nicht. Radikalisierung ist ein innergesellschaftliches Phänomen unserer Zeit. Wegschieben klappt nicht. Gesellschaft ist komplex geworden. Wir sind eben auch Salafist. Daher sollten Sozialarbeiter als Security angeheuert werden.
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