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Radfahrer gegen Herzegowiner

Martin Leidenfrost über einen länderübergreifenden Kommunalwahlkampf im kroatisch-bosnischen Grenzgebiet

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine kleine Schlacht im Rahmen eines großen Kulturkampfes führte mich vorletzten Sonntag ins südliche Dalmatien, ins Delta der Neretva. Umgeben von steinigen Karstbergen, speisen ehemalige Flussarme ein dichtes grünsprießendes froschquakendes Flachland, in welchem buchstäblich alles wächst: Gemüse, Erdbeeren, Pfirsiche, Aprikosen, Reis. Es gibt Wirtschaftsleben. Hier geifert die Opposition, wenn der Preis für eine Mandarine unter eine Kuna fällt.

Ich kam zur Kommunalwahl nach Metković. In der Kleinstadt war die liberale Reformpartei MOST entstanden, die Korruption und Postenschacher auf eine Weise ablehnt, dass sie auf nationaler Ebene schon zwei Mal die Koalition mit der nationalistischen Staatspartei HDZ sprengte. In Metković hatte MOST vier Jahre lang allein regiert. Im Kommunalwahlkampf warb MOST damit, dass ein verwahrloster Spielplatz erneuert wurde, dass die Stadt auch dank Gehaltsverzichts von MOST-Gemeinderäten entschuldet wurde und dass auf der »Flusspromenade der 116. Brigade der Kroatischen Armee« wild parkende Autos einem Radweg weichen mussten. Vorletzten Sonntag wollte die geballte Maschinerie der HDZ Metković erobern. Eine MOST-Anhängerin fürchtete, dies könnte mit Hilfe eingefleischter HDZ-Nationalisten aus der angrenzenden Herzegowina gelingen: »Das sind arme Menschen. Die haben nichts.« Ein HDZ-affiner Teenager nannte MOST »gescheitert«.

Ich wartete bei den TV-Übertragungswagen. Nach Schließung der Wahllokale kam die MOST-Bürgermeisterin: Katarina Ujdur, 33, figurbetonter schwarzer Hosenanzug, roter Lippenstift. Sie sagte drei Sendern dasselbe: »Ich habe ein Auto mit BIH-Kennzeichen vor einem Wahllokal gesehen.« BIH steht für Bosnien-Herzegowina.

Ich wechselte zum Wahlstab der HDZ. Dicke Limousinen, ein Audi A8 mit bosnischem Kennzeichen. Im mitgenutzten Café »Stretto« saß eine Runde dünner Mittdreißigerinnen, blondiert mit dunklem Haaransatz, gestreifte Sommerkleider, Flip­Flops. Über ihnen lief ein viertes Interview mit der wunderschönen Bürgermeisterin. Ein junger Macker betrachtete Ujdur, sein Kinn schnellte vor und zurück. Plötzlich ein Schrei, alles rannte raus, bengalisches Feuer, »Tor! Sieg!« Meine 185 Zentimeter waren von noch viel größeren Männern umringt. Eine Träne. Eine Fahne. Ein Lied. Ein Kuss, die Frau des neuen Bürgermeisters kannte ich aus der blondierten Runde. Nach einem Telefonat rief ein Alter in die Runde: »Gruß aus der Herzegowina, ho ho ho!«

Ich wechselte zum leisen Wahlstab von MOST. Mehr Leute im Studentenalter, die Menschen bei HDZ und MOST unterschieden sich aber nicht riesig. Der junge Parteichef Božo Petrov sagte gerade im Fernsehen: MOST habe sein Metković zwar knapp verloren, sei aber regional zur zweitgrößten Partei aufgestiegen. Zurück zur HDZ, Bier und Broiler und darüber eine filmende Drohne. Sie sangen noch einmal das alte Liebeslied, das sich, da MOST »Brücke« bedeutet, so trefflich zur Verhöhnung eignete: »Leise leise fließt die Neretva / Brücken gibt es keine mehr.«

Am Montagmorgen kaufte ich im »Konzum« ein, einem Supermarkt des soeben gekrachten Konzerns »Agrokor«, der mit einem Anteil von 16 Prozent am BIP ganz Kroatien ins Wanken bringt. Wenn man anderthalb Regalmeter mit derselben Kochschokolade vollräumt, sieht dies auch nach Angebot aus. An »Agrokor« war die HDZ-MOST-Koalition zerbrochen.

Die abgewählte Bürgermeisterin gewährte mir ein Interview. Sie erkannte das Ergebnis an, der Wahltourismus aus der Herzegowina sei legal. Meinen Verdacht, MOST wäre einen Radfahrer-Wahlverein, zerstreute sie: Weder sie noch Parteichef Petrov seien Radfahrer. Ujdur hatte in Zagreb studiert und im Obst-Gemüse-Betrieb der Eltern gearbeitet. Kinderlos, wohnt sie noch bei den Eltern. »Ich war ein normaler Mensch«, sagte sie, »bin viel gereist, war fünf Mal in Amerika.« Ich darauf: »Das ist schon mal nicht normal.«

Ich fragte sie, ob MOST nicht an ein Limit stößt, da ihre Anhänger im Unterschied zur HDZ nicht durch eine starke Kultur miteinander verbunden sind: »Bei der HDZ sangen sie den ganzen Abend, bei MOST überhaupt nicht.« Ujdur antwortete, Singen sei nicht der Punkt, ihr Potenzial liege bei Nichtwählern. Von »Limit« sprach sie nicht, sagte dann aber doch: »MOST kann im kroatischen Parlament mit 10 bis 15 Prozent der Sitze rechnen.« Sie wolle im Gemeinderat bleiben: »Wir brauchen noch 50 Jahre, um das Land zu entgiften.«

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