Britische Linke schöpft neue Hoffnung

Nach den Wahlen ordnen sich außerparlamentarische Bewegungen und Gewerkschaften neu

  • Christian Bunke, Manchester
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Unterschiede zwischen Arm und Reich kosten in Großbritannien Leben. Jeden Tag. Die Feuerkatastrophe vom Londoner Grenfell Tower ist nur das jüngste Beispiel. Seit Jahren haben die Bewohner schon über gravierende Sicherheitsmängel geklagt, aus Kostengründen wurde dies ignoriert. Am Ende musste eine Feuerwehr die Sache regeln, der allein in London über 500 Stellen gestrichen wurden.

Das ist ein Hintergrund des Erfolges von Jeremy Corbyns Labour-Partei und seines linken Wahlprogramms. Forderungen wie 500 000 neue Wohnungen, ein Mindestlohn von zehn Pfund, die Rücknahme der Einsparungen im öffentlichen Dienst und die Verstaatlichung der Eisenbahnen haben viele Menschen elektrisiert. 66 Prozent der 18 bis 24-Jährigen haben Labour gewählt, 40 Prozent der abgegebenen Stimmen gingen an die Partei. Vor Corbyn schaffte das nur Tony Blair, wenn auch unter völlig anderen Vorzeichen.

Die britische Arbeiterbewegung und die Linke wittert nun Morgenluft. Die Konservativen versuchen zwar eine Regierung zu bilden, doch das angestrebte Abkommen mit der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) wird von vielen als letzter Strohhalm und äußerst instabil wahrgenommen. Neuwahlen könnten innerhalb weniger Monate wieder auf der Tagesordnung stehen. Corbyn selbst hat bereits angekündigt, Labour befinde sich weiterhin im Wahlkampfmodus.

Organisationen wie das Momentum-Netzwerk - eine Organisation von Corbyn-Unterstützern rund um die Labour-Partei - verzeichnen Mitgliederzuwachs. Allein über das vorvergangene Wochenende seien 1300 neue Mitglieder beigetreten, heißt es in einer Stellungnahme des Netzwerks. Momentum gibt an, insgesamt 20 000 Mitglieder in 150 lokalen Gruppen zu haben.

Die Herausforderung für das Netzwerk wird darin bestehen, Corbyn gegenüber der rechten Mehrheit der Labour-Parlamentsfraktion im Unterhaus zu stärken. Diese jubelte ihm am Tag der Parlamentseröffnung am vergangenen Montag zwar euphorisch zu. Schon längst arbeiten die Abgeordneten aber an einer Verwässerung seines Wahlprogramms. Der Parteiapparat lanciert die Forderung, Corbyns Führungsteam müsse »alle Schattierungen der Partei repräsentieren«. Gemeint ist: Auch die Neoliberalen sollen im Schattenkabinett einen Platz haben.

Derweil sahen sich Theresa Mays Konservative in den vergangenen Tagen bereits mit ersten Protesten konfrontiert. Tausende Menschen demonstrierten am Mittag des 10. Juni vor dem britischen Parlamentsgebäude in Westminster. Sie protestierten gegen die homofeindliche Ausrichtung der DUP und Sozialabbau. Und sie waren gekommen, um Jeremy Corbyn zu feiern. »Oh Jeremy Corbyn« nach der Melodie des Liedes »Seven Nation Army« von den White Stripes war der Schlachtruf der Stunde für die überwiegend jugendlichen Demonstranten.

Auch in den Gewerkschaften bereiten sich viele - beflügelt vom Wahlausgang - auf die kommenden Monate vor. Am 1. Juli wollte das National Shop Stewards Network (NSSN), eine Allianz betrieblicher Aktivisten aus zahlreichen Gewerkschaften, seine nationale Konferenz in London abhalten. Das Motto der Veranstaltung sollte schlicht und einfach lauten: »Tories out!« - Tories raus. Auf der Tagesordnung stand die Diskussion darüber, wie Druck auf den britischen Gewerkschaftsbund Trades Union Congress (TUC) ausgeübt werden kann, damit dieser einen landesweiten Aktionstag gegen die konservative Regierung organisiert.

Diese Forderung wird inzwischen von einer wachsenden Zahl von britischen Einzelgewerkschaften aufgestellt. Eine Großdemonstration für den 1. Juli hat das Bündnis »The People's Assembly Against Austerity« angekündigt und mobilisiert unter dem Slogan »Not One Day More ToriesOut« - Keinen Tag mehr, Weg mit der Tory-Regierung. NSSN hat seine Konferenz abgesagt um sich an der Demonstration zu beteiligen.

Der Wahlerfolg Jeremy Corbyns erhöht auch den Druck auf den Gewerkschaftsbund TUC. Das zeigt sich am Beispiel der Gewerkschaft UNISON. In ihr sind über eine Million Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst und dem Gesundheitswesen organisiert. Die UNISON-Führung hat einen entsprechend großen Einfluss im Gewerkschaftsbund. Traditionell hat sie sich eher am rechten Flügel der Labour-Partei orientiert. Generalsekretär Dave Prentis ist nur ein sehr widerwilliger Unterstützer Corbyns.

Doch das Ergebnis der UNISON-Vorstandswahlen von Anfang Juni hat einen deutlichen Linksruck innerhalb der Gewerkschaft zur Folge. Ein Bündnis verschiedener linker, Corbyn naher Kandidaten konnte aus dem Stand 29 Sitze im Vorstand erringen und ist damit nur zwei Sitze von einer Mehrheit entfernt.

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