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Vergesellschafungsgesetz: Rahmen ohne Folgen
Der schwarz-rote Senat beschließt ein Vergesellschaftungsrahmengesetz, aber enteignet werden soll nicht
Am Ende war der Entwurf offenbar so verwässert, dass selbst die CDU nicht mehr Nein sagen konnte. Am Dienstagabend haben sich die Berliner Regierungsfraktionen von SPD und CDU auf einen Entwurf für ein Vergesellschaftungsrahmengesetz geeinigt. Damit soll dem Volksentscheid von Deutsche Wohnen & Co. enteignen (DWE), der 2021 59,1 Prozent der Berliner*innen überzeugen konnte, Genüge getan werden. Der erfolgreiche Volksentscheid hatte den Senat aufgefordert, ein Gesetz zu erarbeiten.
Der Entwurf wird aber, sollte er vom Abgeordnetenhaus verabschiedet werden, nicht dazu führen, dass die Bestände großer Wohnungsunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen in Gemeineigentum überführt werden, was eigentlich erklärtes Ziel der Enteignungsinitiative ist. Schließlich trägt auch die CDU als erklärte Gegnerin von Vergesellschaftungen den Entwurf mit. »Wir haben durch das Rahmengesetz unmissverständlich klargestellt: Eigentum ist durch unsere Verfassung geschützt, und wir sorgen dafür, dass das auch weiterhin in Berlin gilt«, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Dirk Stettner.
»Dieses Gesetz blockiert die Vergesellschaftung.«
Justus Henze
Deutsche Wohnen und Co Enteignen
Der Gesetzesentwurf folgt dem Koalitionsvertrag von CDU und SPD aus dem Jahr 2023. Die Koalition hatte sich darauf verständigt, eine rechtliche Grundlage für mögliche Enteignungen zu schaffen. Dies folgte auf den Ergebnisbericht der von der rot-rot-grünen Vorgängerregierung eingesetzten Expert*innenkommission. Diese war zu dem Schluss gekommen, dass Enteignungen großer Immobilienbestände auch mit Entschädigungen unterhalb des Marktwertes verfassungskonform möglich sind. Das Vergesellschaftungsrahmengesetz zielt darauf ab, die durch Artikel 15 des Grundgesetzes grundsätzlich gegebene Möglichkeit, »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel« in »Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft« zu überführen, konkreter auszuformulieren.
Das Gesetz ist allerdings kein Anwendungsgesetz. Und auch um Wohnungen geht es nicht explizit, sondern um die Daseinsvorsorge und die im Grundgesetz genannten »anderen Formen der Gemeinwirtschaft«. Wenn man Dirk Stettner folgt, ist der vorgelegte Entwurf sogar ein Vergesellschaftungsverhinderungsgesetz. »Das Gesetz ermöglicht keine Enteignungen«, betonte der CDU-Politiker. »Wir schützen den Berliner Haushalt vor milliardenschweren Abenteuern. Eine Vergesellschaftung, die die Stadt auf Jahre hinaus finanziell lähmt, wird es mit uns nicht geben«, so Stettner.
Dem Vernehmen nach ist das Ziel des Entwurfs auch gar nicht eine Vergesellschaftung. Vielmehr erhofft sich insbesondere die SPD, dass jemand das Gesetz juristisch angreift und es dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt wird. Die »B.Z.« berichtet, dass es erst nach zwei Jahren in Kraft treten soll.
Da Unternehmen von dem Gesetz nicht betroffen wären, können sie nicht klagen, allerdings andere Landesregierungen oder Bundestagsfraktionen. Die Hoffnung ist, dass das Gericht bis zum Inkrafttreten genauere Ausführungen dazu macht, wie der bislang noch nicht zur Anwendung gekommene Artikel 15 mit Leben gefüllt werden könnte und ob Unternehmen gemeinwirtschaftliche Vorgaben gemacht werden können, ohne dass Eigentum eingezogen wird. Regulieren statt enteignen also.
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Kritik kommt wenig überraschend von der Enteignungsinitiative: »Dieses Gesetz blockiert die Vergesellschaftung und dient einzig dazu, die knapp eine Million Berlinerinnen und Berliner, die dafür gestimmt haben, mit einer billigen Nebelkerze abzulenken«, erklärt DWE-Sprecher Justus Henze. Jede vierte Person in Berlin sei von Wohnarmut bedroht, aber statt dafür endlich Lösungen zu liefern, würden CDU und SPD Pseudopolitik ohne Effekt auf die Mietenkrise machen, so der Sprecher weiter.
Die Hoffnung, Enteignungen einerseits zu verschleppen und durch mögliche Regulierungen DWE den Wind aus den Segeln zu nehmen, könnte aber scheitern. Die Initiative arbeitet an einem neuen Gesetzesvolksentscheid, mit dem dann nicht mehr nur der Senat aufgefordert würde, ein Gesetz zu erarbeiten. Vielmehr werde den Berliner*innen ein Gesetz zur Abstimmung vorgelegt, das direkt in Kraft treten würde, sollte der Volksentscheid eine Mehrheit finden.
Ein erster Entwurf dafür liegt bereits vor. DWE hat ihn im September vorgestellt. »Unser Gesetz definiert ganz klar, welche Wohnungen wir vergesellschaften, zu welchen Konditionen, und wie sie dann als Gemeingut verwaltet werden und dauerhaft bezahlbar bleiben«, sagt DWE-Sprecher Henze. »Das Rahmengesetz ist zunächst wirkungslos und wird mit Inkrafttreten unseres echten Vergesellschaftungsgesetzes schlicht irrelevant.« Mit dpa
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