Werbefreie Stellen bröckeln

»Guerilla Marketing« wird immer mehr nachgefragt / Bezirke reagieren unterschiedlich

  • Felix Knorr
  • Lesedauer: 3 Min.

Schon immer war Berlin auch Hauptstadt für Street-Art: Graffiti und Aufkleber nehmen Fassaden, Schilder und Masten in Beschlag. Doch auch die Vereinnahmung der Subkultur schreitet konstant voran. An Werbeplakate in enormen Größen hatte man sich gewöhnt - es brauchte also Innovation. Graffitiwerbung erstreckt sich vermehrt auf jene Flächen, die überhaupt noch zur Verfügung stehen - Gehwege und Plätze.

Neu sind die Sprühereien auf dem Boden nicht. Neu ist der Umfang, in dem sie auftreten. Immer mehr Auftraggeber lassen ihr Logo oder einen Wegweiser zum neu eröffneten »Store« auf den Gehweg sprühen. Das bestätigt Sabrina Kiel von der Agentur Plakat-Kultur: »Grundsätzlich wird das mehr. Die Kunden wollen versuchen, sich von der Plakatwerbung abzuheben.«

Bei anderen Agenturen hält man sich auf Nachfrage eher bedeckt. Die Zurückhaltung ist verständlich: »Guerilla Marketing«, so heißt die Werbung auf den letzten unbefleckten Stellen der Stadt, ist in vielen Fällen illegal.

Deshalb verweist auch Plakat-Kultur auf die Flüchtigkeit des verwendeten Materials: »Wir arbeiten mit Kreide-Spray«, sagt Kiel. »Das wird aus rechtlicher Sicht gemacht, weil es umweltfreundlich und abwaschbar ist.« Wenn sie Kreide verwenden, machen sich die Werbenden nicht der Sachbeschädigung schuldig, sondern gegebenenfalls »nur« des ungenehmigten Werbens im öffentlichen Raum.

Ob überhaupt versucht wird, eine Genehmigung zu bekommen, entscheiden die Auftraggeber. Bürokratischer Aufwand und Kosten seien der Grund, weshalb große Firmen wie Adidas und Nike wohl gar nicht erst versuchen, eine Genehmigung zu bekommen, vermutet Kiel: »Wenn sie grundsätzlich ›Nein‹ sagen, haben sie es einfacher.«

Lange war Werbung Gegenstand der Auseinandersetzung für Street-Artists. Mit Farbe und Kleister verfremdeten sie deren Botschaft zu einer konsumkritischen Aussage. Mittlerweile scheint es jedoch, als würde die subversive Aneignung des öffentlichen Raumes von der kommerziellen verdrängt. So beschwerten sich mehrere Twitter-Nutzer jüngst über Boden-Graffiti, sogenannte Stencils, von »Puma«, den »Jungen Unternehmern« und »Formula E Race« in der Nähe der Technischen Universität in Charlottenburg.

Die Werbeagenturen sind dabei äußerst innovativ: Sie drehen auch den Spieß des Schmiererei-Vorwurfs um und fertigen »Reverse Graffiti« an. Dabei legen die Firmen ihr Logo als Schablone über »verschmutzte« Wände und »säubern« sie in diesem Bereich - ein Negativabdruck ihrer Marke entsteht, mit mehreren Monaten Haltbarkeit.

Ob die Stadt etwas gegen die zunehmende Werbung unternehmen will und kann ist fraglich. Im Werbekonzept des Landes heißt es: »Welchen und wie viel Raum Werbung in der Stadt bekommen soll bzw. wie viel Raum sich Werbung nimmt - darüber findet eine breite Auseinandersetzung statt.«

So wird auch in den Bezirken unterschiedlich verfahren. Petra Markgraf vom Straßen- und Grünflächenamt Steglitz-Zehlendorf sagt: »Wir sind der Auffassung, dass solche Arten von Werbung nicht mit dem Straßengesetz vereinbar sind.« In Pankow wiederum hat es durchaus schon Genehmigungen für die Graffiti gegeben, sogar für Wahlwerbung. Dass bürokratische Hürden für die Werbeindustrie ein Hindernis darstellen, ist indes unwahrscheinlich.

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