Im Projekthaus Potsdam ist Platz für Politik

Verein Inwole feierte bei Sommerfest 20 Jahre alternatives Leben und Arbeiten

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Werkstattgebäude auf dem Projekthausgelände
Das Werkstattgebäude auf dem Projekthausgelände

»Kinder spielen, die Bewohner*innen treffen sich, in der Fahrradwerkstatt schrauben Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen an ihren Rädern, im Werkhaus tischlern, töpfern und schmieden Menschen, eine Gruppe ukrainischer Teenager trifft sich, um Wege zu finden, künstlerisch die schlimmen Nachrichten aus der Heimat zu verarbeiten.« So beschreibt Sandra Wildemann das quirlige Leben im Projekthaus Potsdam.

Vor 20 Jahren hat der Verein Inwole das 6000 Quadratmeter große Grundstück an der Rudolf-Breitscheid-Straße 164 samt der darauf stehenden Villa gekauft. Es gibt dort außerdem noch einen als Werkstatt dienenden Flachbau und einen später errichteten Neubau. Zum Wohnprojekt gehört außerdem noch ein Haus in der Rudolf-Breitscheid-Straße 146. An beiden Standorten haben 27 Jugendliche und Erwachsene sowie fünf Kinder ein Zuhause gefunden. Sandra Wildemann lebt seit 2014 dort und arbeitet beim Verein Inwole.

Ansässig sind hier auch der Verein Opferperspektive, der Flüchtlingsrat Brandenburg und die Flüchtlingsselbsthilfeorganisation Women in Exile (Frauen im Exil). »Die Beratungen der Opferperspektive finden draußen statt, in den interkulturellen Gärten werden die ersten Kräuter gepflanzt und Nachbar*innen schauen in der Bücherbox nach neuer Literatur«, schildert Wildemann das Leben auf dem Areal. »Abends gibt es einen Themenabend zur Situation im Sudan und die Arbeitsgruppe, welche Direktdarlehen verwaltet, trifft sich.«

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Die Mieter zahlen im Durchschnitt nur 7,50 Euro je Quadratmeter, was in der Villenkolonie Neubabelsberg einmalig oder zumindest extrem selten sein dürfte, und sie zahlen diese Summe im Grunde genommen an sich selbst. Alle Entscheidungen auch über Baumaßnahmen werden zusammen getroffen. »Wir wohnen und leben gemeinsam, teilen die Verantwortung für unsere Häuser und gestalten unseren Alltag«, heißt es.

»Wir hätten vor 20 Jahren gleich zehn Häuser kaufen müssen«, findet Gründungsmitglied Christin Zschoge-Meile. »Damals konnten wir diesen Kauf gut über die GLS-Bank und viele Direktdarlehen aus dem Solidarverbund des Mietshäusersyndikats finanzieren.«

»Heute ist Potsdam die teuerste Stadt im Osten«, bedauert Bewohner Holger Zschoge, der sich im Netzwerk Stadt für alle engagiert. Neue Gruppen für ein Gemeinschaftsprojekt nach dem Modell des Mietshäusersyndikats gebe es seines Wissens genug. Aber: »Inzwischen sind die Boden- und Spekulationspreise ins Unermessliche gestiegen und es gibt praktisch keine Unterstützung durch die Stadt Potsdam.« Dafür unterstützt das Projekthaus, wo es kann. Es gibt eine Holz-, eine Keramik- und eine Textilwerkstatt, einen Pizza- und Brotbackofen und vor allem eine Fahrradwerkstatt. Hier werden gespendete oder verlassen aufgefundene Drahtesel wieder flott gemacht, mit denen sich dann beispielsweise Geflüchtete durch die Stadt bewegen können.

Nichtkommerzielle Gemeinschaftsprojekte seien ein Gewinn für die Gesellschaft, ist sich die Bewohnergemeinschaft einig. Hier sei die Stadt lebendig, vielfältig, solidarisch und sozial. »Hier sind die Mieten geringer als sonst in der Stadt, hier gibt es keine Verdrängung und keine möblierten Mikroappartments.« Hier sei Raum für soziales Engagement und politische Projekte und Platz für die vielen Ausgegrenzten der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen.

Am Samstag feierte das Projekthaus Potsdam sein 20-jähriges Bestehen mit einem Sommerfest. Es kamen 1000 Besucher.

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