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»Wir sind wie alle anderen«

Jelena Popowa, Fan von ZSKA Moskau, kämpft für Barrierefreiheit in Russlands Stadien für behinderte Menschen

Sie sind nicht nur ZSKA-Fan, sondern auch Anhängerin der Sbornaja: Wie ist die Stimmung nach dem Ausscheiden?
Dass wir nun leider ausgeschieden sind, ist traurig, klar, weil wir so lange auf dieses Turnier gewartet hatten. Trotzdem sind wir sehr, sehr stolz. Ich war bei vier Spielen und kann sagen, das wir wirklich sehen konnten, wie sehr die Leute ein derartiges Turnier herbeigesehnt haben. Die Menschen lieben es, beim Fußball ihre Emotionen zu zeigen. Bei Russland gegen Mexiko haben die gebrüllt, wann immer wir an den Ball kamen. Es war fantastisch. Und bei der WM wird all das noch größer.

Wie ist denn der Besuch eines Länderspiels im Vergleich zu einem Ligaspiel?
Natürlich kommen viel mehr Menschen zu den Ligaspielen. Die meisten gehen eben zu ihrem geliebten Klub. Zur Nationalmannschaft kommen andere Leute, Menschen die den Fußball erst noch für sich entdecken. Die mal wissen wollen, wie es im Stadion ist. Aber das ist doch gut so.

Jelena Popowa

Anfangs, als ihr Klub noch im Lokomotivstadion antrat, musste Jelena Popowa die Matches noch von den Tribüneneingängen aus verfolgen, es gab keine Plätze für Rollstuhlfahrer. Die Juristin arbeitet auch für die UEFA-Organisation CAFE (Centre for Access to Football in Europe) und hat im Kosmonautenstädtchen Koroljow, ihrem Heimatort, eine »Adaptive Sportschule« für Menschen mit Behinderung gegründet. Das inklusive Trainingszentrum »Nasch Mir« (»Unsere Welt«) ist die einzige Einrichtung dieser Art im gesamten Oblast. Unserem Reporter Jirka Grahl erzählte Popowa von ihrem Fußballalltag und ihrem Einsatz für behinderte Menschen.

Sie arbeiten für CAFE, eine UEFA-Organisation, die dafür sorgen will, dass Menschen mit Behinderung barrierefreien Zugang zu Fußballspielen bekommen? Was tun Sie konkret?
Eine Menge: Wir haben beispielsweise im Mai eine Schulung abgehalten für die Stewards, die in den Stadien arbeiten. Sie sollen wissen, was für behinderte Menschen wichtig ist und wie man auch ihnen den Stadionbesuch so angenehm wie möglich macht. Ich selbst versuche, bei Auswärtsspielen viel Wissenswertes über die Lage vor Ort zusammenzutragen: Wie klappt der Zugang, wo sind die Plätze für Rollstuhlfahrer, wo sind Rampen, wo nicht? Gibt es Behindertentoiletten? Solche Sachen. Wir stellen das dann auf unserer Internetseite vor.

Sie sind viel unterwegs in Russlands Stadien?
Ich versuche es. In der nächsten Spielzeit möchte ich gerne eine »goldene Saison« schaffen. Also bei allen ZSKA-Spielen dabei sein, zuhause wie auch auswärts. 30 Matches. Aber das wird schwer.

Weil der barrierefreie Zugang nicht überall gegeben ist?
Nein, das wird besser, da passiert viel in Russlands Stadien. Für mich wird es mit der »goldenen Saison« schwer, weil es teuer wird. Ich muss nämlich dazu auch nach Chabarowsk reisen. Das liegt ganz weit im Osten, nahe Wladiwostok. Man fliegt acht Stunden dahin und der Flug kostet 60 000 Rubel. Das sind fast 1000 Euro. Und ich verdiene nicht viel, glauben Sie mir! Mal zum Vergleich: Der russische Staat unterstützt Menschen mit Behinderung mit monatlich 9000 Rubel (150 Euro). Das ist übrigens auch eine Sache, die wir mit CAFE anstreben: Wir wollen Leute beim Fußball in Lohn und Brot bringen.

Arbeitsplätze im Fußball für behinderte Menschen?
Genau, das ist unser Ziel. In der russischen Gesellschaft ist es für behinderte Menschen immer noch schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. Es gibt ein Gesetz, nach dem jede Firma zehn Prozent ihrer Arbeitsplätze durch Menschen mit Behinderung besetzen muss. Aber das ist nur Theorie. Neulich habe ich mich sehr gefreut, als ich erfahren habe, dass Spartak Moskau - und natürlich sage ich das als ZSKA-Fan nicht gerne - jetzt einen behinderten Fan angestellt hat. Das ist stark.

Wie ist das Leben als Mensch mit Behinderung in Russland?
Schwer. Die Menschen sind noch immer nicht daran gewöhnt. Sie zeigen mit dem Finger auf uns, starren uns an. Viele behinderte Menschen waren lange Zeit deswegen eingeschüchtert, sie trauten sich gar nicht zu arbeiten. Behindert sein hat lange fast automatisch bedeutet, zuhause zu bleiben. Es wird aber langsam besser. Die Leute trauen sich raus und sagen: Wir sind wie alle anderen.

Woran liegt das?
Ich glaube einfach, weil es so sein muss. Wir lernen da auch viel von anderen europäischen Ländern.

Ihr Verein hat seit dem vergangenen Herbst ein neues Stadion eröffnet, die WEB-Arena. Konnten Sie da etwas für behinderte Fans erreichen?
Ja, ZSKA hat ein jährliches Treffen mit dem Präsidenten, dem Manager und den Fans. Bevor gebaut wurde, habe ich dabei zu unserem Präsidenten Jewgeni Giner gesagt: Bitte, ich will mit meinem Rollstuhl direkt bei den Fans sein, nicht irgendwo am Rand! Und als das Stadion im September eröffnet wurde, habe ich fast geweint: Rollstuhlfahrer sitzen jetzt direkt zwischen 1. und 2. Rang bei den Ultras. Ich bin dabei - wie alle Fans.

Fühlen Sie sich im Stadion sicher?
Immer.

Keine schlechten Erfahrungen ?
Nein, wirklich nicht. Vielleicht ein paar Leute, die blöde Witze gemacht haben: Ob ich nicht im Rollstuhl Pyros reinschmuggeln könnte (lacht)? Nicht mit mir! Aber sonst? Nichts. Wer also noch zum Confed Cup oder 2018 zur WM kommen will, braucht sich nicht zu fürchten. Im Gegenteil: Die Menschen hier sind besonders gastfreundlich. Beim Confed Cup waren sie wirklich süß: Sie haben die Besucher umarmt und Selfies gemacht.

Und wie steht es mit dem Rassismus der Fans in der Liga?
Nun, das ist schon ein Problem manchmal. Im Stadion versuche ich, das nicht so zu beachten, wenn es geht. Ich glaube auch, dass es viel damit zu tun hat, dass die Leute in der Masse stehen. Einer brüllt etwas, die anderen brüllen mit. Ich glaube nicht, dass sie in Wahrheit irgendetwas gegen Schwarze haben. Aber es passiert. Leider.

Was tun Sie dann?
Wenn die Leute in meinem Block also irgendwas Blödes singen, singe ich eben nicht mit. Auch wenn dann einer sagt: Guck mal die, die macht nicht mit! Es ist meine Art, mich abzugrenzen. Für mich ist es natürlich schlimm, wenn sie so etwas singen. Ich bin anders, weil ich im Rollstuhl sitze, ein anderer wegen seiner Hautfarbe, seiner politischen Einstellung oder sexuellen Orientierung. Es gibt eine Aktion, die ein Freund von mir organisiert: »ZSKA-Fans gegen Rassismus«! Ich teile all die Sachen dieser Aktion auf Facebook oder Instagram, um den Leuten zu zeigen: Habt eine eigene Meinung und versteckt Euch nicht in der Masse. Wenn Ihr in Wahrheit denkt, dass »White Power« Blödsinn ist, singt doch nicht mit! Es gibt noch eine Menge zu tun für uns.

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