Beruhigen Sie sich bitte!

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor dem letzten Wochenendausflug nach Hamburg stand wieder die Unterkunftsfrage, doch wie sich herausstellte, sollte nichts aus ibis, a & o und weh & ach werden. Und bei den Kumpels konnten wir nicht mit jeweils zehn Leuten anrücken. Der anstehende Gipfel und Gegengipfel wirkte sich wie ein Hafengeburtstag hoch drei aus. Also ging es mit der Bahn in Richtung Färöer. Hier war die Luft sehr gut, und alle Farben waren fett. Das güldene Getreide schoss gen Himmel, der Blick war weit, das Meer nah. Wir nannten unser Quartier nur noch Ferienlager.

Ja, man war gleich geil drauf und verspürte keine Probleme mit den anderen Truppenteilen, die es hierher verschlagen hatte. Einheiten der Polizei, Invasion der Touristen, Armee der Clowns, was weiß ich. Deren Vertreter waren zwar unterschiedlich uniformiert, doch schon an der letzten Tanke vor dem Ferienlager einigte man sich in der Schlange schnell auf das Reißverschlussprinzip. Später liefen die verschiedenen Feierlichkeiten forsch an und gestalteten sich zu einer gemeinsamen Sause.

Schon vor dem Einbruch der Dunkelheit wechselten Uniform- und Kostümteile die Besitzer. G20, dafür oder dagegen; ach, nach Hamburg fahren wir immer gerne. Hamburg ist die einzige Wohnortalternative zu Berlin, prost! Was haben wir getrunken und gepinkelt. Kein Wunder, dass sich auch ohne Verabredung jeweils zehn Biorhythmusgenossen am Drahtgeflecht fanden. Das ist unsere Kultur, wir mussten schon im Kindergarten unsere amtlichen Töpfchenpausen einhalten. Und haben wir diese Drangsalierung überlebt? Sehr gut sogar. Das Pinkeln im Stehen, gemeinsam an Zäunen und Büschen, jedoch nicht an Mauern, ist eine alte Tradition, die liegt uns im Urin. Die gastfreundlichen Einheimischen dort waren auch keine verkopften Sitzpinkler; die sehen Berlin als einzige Wohnortalternative zu Hamburg.

Aber was da neulich in den Medien abging: In einer ehemaligen Flüchtlingsunterkunft habe es Entgleisungen der Berliner Polizisten gegeben. Ach, die gab es von vielen Menschen aller Couleur in beiden Städten schon immer. Sodom und Gomorrha halten zusammen! Außerdem verloren einige Anwesende keine Zeit mit dem Verkleiden, die zogen sich gleich aus. Sex in der Öffentlichkeit, nun ja, den gab es schon, bevor die ersten Hütten hochgezogen wurden. Und da draußen, auf dieser heidnischen Heide, das war eigentlich auch nicht die Öffentlichkeit, wo es sich nicht schickt. Man fragte einen freundlichen Fremdkörper nicht, was beruflich so abgeht.

Es gab kein Fernsehen, verteidigten sich einige; aber wäre es mit TV besser gelaufen? Und die Hamburger hätten die Berliner schon auf dem Kieker gehabt. Aber beim morgigen Spiel zwischen Babelsberg 03 und Altona 93 sind wir wieder dicke Freunde. Ja gut, diese vermeintlichen Handgreiflichkeiten in Bad Segeberg mit den Nordrhein-Westfalen, die mussten nicht sein. Vielleicht ging es da schon um das Pokalspiel in sechs Wochen, zwischen dem BFC Dynamo und Schalke 04.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal