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Modi zerschlägt Gordischen Steuerknoten

Indiens Premierminister schafft erstmals in der Geschichte des Landes einen einheitlichen Binnenmarkt

  • Mathias Peer
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor den Toren von Delhi gibt es Stau: Jeden Tag warten rund 20 000 Lastwagen auf Einlass in die indische Millionenmetropole. Doch bevor sie ihre Waren abliefern dürfen, müssen sie an einem der mehr als 100 Kontrollposten ihre Grenzsteuern entrichten. Einen freien Güterverkehr gibt es auf dem 1,3 Milliarden Einwohner großen Subkontinent nämlich nicht. Der Handel zwischen Indiens 29 Bundesstaaten wird erschwert durch ein komplexes System aus Grenzkontrollen, Zöllen und lokalen Steuern.

Nach dem Willen von Premierminister Narendra Modi sollen die langen Wartezeiten aber Geschichte sein. Am 1. Juli ist die weitreichendste Steuerreform in der Geschichte seines Landes seit der Unabhängigkeit vor 70 Jahren in Kraft getreten: Dann soll landesweit die Mehrwertsteuer GST gelten, die das schwer durchschaubare Geflecht an regionalen Steuern und Abgaben ersetzen wird - und damit die Grundlage für einen einheitlichen indischen Binnenmarkt schaffen soll.

Bei seinem Besuch in den USA bewarb Modi die ambitionierte Reform diese Woche vor Investoren. Sie werde Indiens Wirtschaft beflügeln. Einige Unternehmer zeigten sich überzeugt: »Wenn es mittelfristig einen Binnenmarkt gibt, wird es nicht mehr nötig sein, Lagerhäuser in jedem einzelnen Bundesstaat zu betreiben«, sagte der Indienchef von Walmart, Krish Iyer, nach dem Treffen mit Modi. »Das wäre eine erhebliche Erleichterung.«

Bei der Reform geht es jedoch nicht nur um Vereinfachungen in der Logistik. Die Regierung verspricht weniger Bürokratie und erwartet, Steuerhinterziehung zu erschweren. Schließlich ist der Vorsteuerabzug nur dann möglich, wenn auch die Lieferanten ihre Steuern ordnungsgemäß abgeführt haben. Sollte die Reform gelingen, könnte sie das Wachstum der indischen Volkswirtschaft mittelfristig auf über acht Prozent anheben, prognostizierte der Internationale Währungsfonds. Einen Schub hätte das Land auch nötig: Indiens Wirtschaftswachstum sank im jüngsten Quartal überraschend stark auf 6,1 Prozent und lag damit auf dem tiefsten Stand seit mehr als zwei Jahren.

Doch dass Modis Großprojekt tatsächlich zum Erfolg wird, ist jedoch alles andere als sicher. Besonders in den ersten Monaten nach der Umstellung rechnen Beobachter mit Turbulenzen. »In einer so unorganisierten Wirtschaft ein so aufwendiges System einzuführen, ist trotz aller Chancen eine große Herausforderung«, sagt Tillmann Ruppert, Indienexperte bei der Beratungsgesellschaft Rödl & Partner. »Wir sehen viele Unternehmen, die weiterhin schlecht vorbereitet sind, insbesondere die kleinen. Die Vorlaufzeit war sehr kurz.«

Auch auf die Behörden kommt laut Ruppert eine große Last zu. »Mit Beginn der Reform muss die IT der indischen Finanzverwaltung jeden Monat Details von mehr als drei Milliarden Rechnungen verarbeiten«, sagt er. »Es ist schwer vorstellbar, dass dies auf Anhieb fehlerfrei funktioniert.«

Indische Zeitungen sind inzwischen voll mit Berichten lokaler Geschäftsleute, die fürchten, mit dem neuen Steuersystem nicht zurechtzukommen. »Ich weiß nicht, wie man einen Computer bedient«, sagte der Textilhändler Rajnish Lillah der »Times of India«. »Ich werde dafür einen Spezialisten beschäftigten und mir einen Steuerberater suchen müssen.« Die Kosten für sein Unternehmen würden dadurch steigen, glaubt Lillah.

Berater Ruppert hält es aber trotz der Kritikpunkte für gut, dass die Reform kommt. »Damit ist ein gordischer Knoten zerschlagen. Ein Weiter so wäre schlimm gewesen«, sagt er. »Das alte System hat die wirtschaftliche Entwicklung des ganzen Landes behindert.«

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