G20: Juristen beklagen »autoritären Angriff auf das Recht«

»Genehme und gefährliche« Anwälte? RAV und Berliner Strafverteidiger: Hamburger Polizei setzt Grundregeln des Rechtsschutzes außer Kraft

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Versuche der Behörden, die freie Betätigung von Anwälten im Zusammenhang des Gipfels zu behindern, sind auf breite Kritik gestoßen. Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger sprach von einem »autoritären Angriff auf das Recht selbst, der schärfsten Widerspruch verdient«. Rechtsfreie Räume drohten »keinesfalls nur da, wo staatliche Macht auf dem Rückzug wäre«, sondern seien auch dort zu beklagen, wo »Bürgerrechte staatlicherseits eingeschränkt oder außer Kraft gesetzt werden«, heißt es in einer Erklärung.

Zuvor hatte die Hamburger Polizei die Mitgliedschaft von Anwälten im Republikanischen Anwälteverein RAV als Indiz für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bezeichnet. Hintergrund ist eine Klage von vier ehemaligen Jura-Studierende aus Hamburg gegen das von der dortigen Polizei erlassene Verbot von Demonstrationen während des Gipfels. In ihrer Erwiderung des Eilantrags habe die Behörde, wie der Verband beklagt, »eine schriftliche Gefahrenprognose vorgelegt«, die einen Zusammenhang zwischen der Mitgliedschaft im RAV und möglichen Blockadeaktionen herstellt. »Mit ihrer Argumentation unterteilt die Hamburger Polizeiführung Rechtsanwälte in ›genehme‹ und ›gefährliche‹«, erklärte der Verband. »Die Wahl des Anwalts wird so zur Gefahrenprognose herangezogen. Hierdurch werden Grundregeln des Rechtsschutzes außer Kraft gesetzt.«

Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger erklärte sich mit den RAV-Kollegen nun »solidarisch, die unter großem persönlichen Einsatz und Aufwand einen anwaltlichen Notdienst eingerichtet haben, um dort Demonstranten rechtlichen Beistand zu leisten«. Eine Polizei, »welche das bürgerrechtliche Einmaleins freier Anwaltswahl nicht respektiert, sondern durch Gefahrenprognosen pönalisieren will, kann sich jedenfalls nur noch schwerlich als Verteidigerin des Rechtsstaats gerieren. Vielmehr droht sie sich zu diskreditieren«, heißt es in einer Mitteilung.

Auch die Vereinigung Demokratischer Juristen wies das Vorgehen der Hamburger Polizei strikt zurück. Es handele sich um einen »Angriff«, der alle Anwältinnen und Anwälte betrifft.

Zuvor hatte bereits der Vorstandsvorsitzende des RAV Peer Stolle das Vorgehen der Hamburger Polizei scharf zurückgewiesen. »Renommierte Anwaltsvereine als Gefahr zu definieren, offenbart ein fehlendes Verständnis von rechtsstaatlichen Grundsätzen und für die Aufgabe und Funktion der Anwaltschaft. Die Argumentation der Hamburger Polizeiführung schließt sich nahtlos an die Missachtung des Gewaltenteilungsprinzips in den vergangenen Tagen an, als sich die Hamburger Polizei über gerichtliche Entscheidungen schlicht hinweggesetzt hat«, so Stolle.

Das Vorgehen der Polizei habe auch deshalb besondere Brisanz, weil unter dem Dach des RAV der Anwaltliche Notdienst während der G20-Proteste organisiert ist. »Der sowieso schon bei polizeilichen Großeinsätzen extrem eingeschränkte Rechtsschutz droht in Hamburg vollends außer Kraft gesetzt zu werden. Es ist zu befürchten, dass die Hamburger Polizeiführung eine Vertretung durch den Anwaltlichen Notdienst in den Gefangenensammelstellen verhindern will«, sagte die Rechtsanwältin Britta Eder aus Hamburg.

Der RAV rief dazu auf, »sich an den Protesten und für die Stärkung der Bürgerrechte zu beteiligen. Es darf nicht sein, dass die Stadt Hamburg und die Bundesregierung rechtsstaatliche Grundsätze über Bord werfen und einen faktischen Ausnahmezustand schaffen, um ausländische Staats- und Regierungschefs – darunter Vertreter verschiedener autoritärer Regime – zu hofieren«. Eine Randnotiz meldet derweil die »Tageszeitung«: Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz von der SPD – ist auch Mitglied des RAV. tos

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal