Sanftmut, Verstehen

Milan Hrabal

  • Peter Huckauf
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Bibliotheken der Menschheit horten einen riesigen Vorrat an Schriften, der Utopien nährt, der menschliches Wissen mit Worten befördert. Allein die POESIE wird zur Herberge einer rational nicht fassbaren Unzerstörbarkeit.

Zu begrüßen ist ein Dichter aus der nächsten Nachbarschaft: Milan Hrabal wurde 1954 in Varnsdorf geboren, einer Grenzstadt im Dreiländereck Deutschland-Tschechien-Polen, da wo sich die deutsch-sorbische Oberlausitz mit dem nordtschechischen Böhmen trifft.

In Tschechien und in west- wie südslawischen Ländern - Slowakei, Polen, Serbien u. a. - ist Milan Hrabal längst eine kulturelle, vor allem literarische Instanz als Dichter, Übersetzer, Herausgeber, Organisator, etwa als Mitgestalter der Sorbischen Poesiefeste und Leiter der Schul- und Kulturbehörde der Stadt Varnsdorf. Bisher zeichnete er als Herausgeber für über 60 Publikationen verantwortlich. Elf Gedichtbände veröffentlichte er bisher, mehrere Literaturpreise wurden ihm überreicht.

Hrabals neuestes Buch »Eine schimmernde Wabe Glimmer« (Tschechisch und Deutsch), von der sorbischen Dichter Róža Domašcyna vorzüglich ins Deutsche übertragen, bündelt Gedichte aus verschiedenen Sammlungen (u. a. »Zum Fest mit Chagall«, Brno 2000, »Erotikon«, Ústí nad Labem 2000 und aus Manuskripten).

Die zweimal 54 Texte, auf fünf Abteilungen gebracht, beginnen mit dem Gedicht »Haus der Geburt«. Herkunft, Kindheit, Natur, die fragile Bewohnbarkeit der zur Welt gewordenen alten ERDE, die Schäden der Zivilisation, sind Themen in Hrabals Versen, die nie anklagen, ja fast schicksalsergeben wirken.

Der dritte und mittlere Teil des Bandes »Zeit ohne Flügel und Anker« ist der umfangreichste. In 14 langen Gedichten, einige mit Bibelzitaten versehen, zeichnet Milan Hrabal Jesus’ Leidensweg nach. Eindringlich und eigenwillig befreit er die Bibelgestalt aus ihrer monströsen Vereinnahmung durch die Kirchen und mahnt eine humane Welt an, die einen göttlichen KOSMOS zulässt.

Milan Hrabals überzeugende menschliche Grundhaltung, seine sympathische Gesinnung zeigt sich spätestens in einem der letzten Gedichte des Bandes:

BERÜHRUNGEN

Wir berühren uns

Finger Blicke Worte

glücklos jede Weile

in der sich berühren

verboten

oder unmöglich

in den Berührungen bleibt

gänzlich unser Wesen

ist doch Berühren

kein Greifen

gleich einem Wort

das beim Verstehen

den Beweis offen lässt

dass du mich begriffen hast

Mit den ungleichen substantivierten Verben »Berührung« und »Greifen« ruft Milan Hrabal zu SANFTMUT und Verstehen auf, in einer Welt voller Hass und Gewalt, wo Menschenleben ohne Erbarmen geopfert werden.

Milan Hrabal: Eine schimmernde wabe Glimmer. Zweisprachige Ausgabe. Nachdichtungen aus dem Tschechischen von Róža Domašcyna. Leipziger Literaturverlag, 170 S., geb., 19,95 €.

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