Amadeus war da, Anatol fehlt

Lutz Jahodas Roman-Trilogie »Der Irrtum«

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Der alternde Spaßmacher ist oft genug Repräsentant einer Furcht einflößenden Anstrengung: weiter, weiter, weiter! Noch eine letzte Tournee, noch ein letzter Auftritt, und sei es im Baumarkt! Als gäbe es keine Zeit, keine Erfahrung, keine Distanz. Die finale Mühe der Hingabe als trauriger Beleg der Selbstaufgabe. Vor allem Schlagersänger fürchten das Zerwürfnis mit ihrem eigenen Illusionsbetrieb und lächeln sich maskenhaft mit festgezurrtem Zahnersatz durch den Schnittmusterbogen ihrer Gesichtsfalten. Was am trumpfigsten die Fröhlichkeit feiert - leider endet es mitunter am traurigsten.

Insofern flößt einem die Tatsache, dass man lange nichts von jemandem gehört hat, sofort Respekt ein. Und so bewirbt sich, wenn es um eine wahrhaftige Beurteilung geht, berechtigterweise das Wort vom Charakter. Lutz Jahoda, der im Juni neunzig wurde, war einer der fleißigsten, populärsten Fröhlichkeitsbetreiber, und eines Tages hörte man auch deshalb nichts mehr von ihm, weil er - schrieb. Nicht nur Erinnerungen, sondern einen Roman. Eine Karrierenkurve ins Neuland.

Jahoda lernte mit dem Ende der DDR und der Flucht auch der heiteren Muse in den Westen den Absturz kennen, erfuhr Pleite, Pech und Pannen. Verließ aber das aufgespannte Seil zwischen hartem Boden und leichter Luft nie. Nannte seine Memoiren souverän selbstironisch »Lutz im Glück, und was sonst noch schieflief«. Und der Roman »Der Irrtum«, der sich zur Trilogie auswuchs, 2009 erschienen in der Edition lithaus - er erzählt von der Brünner Familie Vzor und damit böhmisch-mährische, »sudetendeutsche« Geschichte hinein in finstere nazistischer Zeit - Jahoda als überzeugender Autor, der den Zeitenlauf packend ins Wahrhaftige von Schicksalen überträgt.

Gisela Steineckert notierte über diese Prosa im »nd«: »Jahoda lässt auferstehen, was ich selber gesehen habe, und vieles, was ich nicht wusste, damals nicht wissen konnte und später als Teil deutscher unheilvoller Geschichte erfuhr, als ich es wissen wollte. So also war das, als die deutsche Kralle sogenannte Heimaten heimholte (...) Wer in der Literatur den Duft der Jahreszeiten sucht, Lebenswahrheit, Sinnlichkeit, Trauer, Ironie und das Problem des zwanzigsten Jahrhunderts, dem seien die drei Bände empfohlen: neidlos, belehrt und beeindruckt.«

Ludwig Jahoda, 1927 geboren in Brno, dort Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, spielte und sang in seinen Frühzeiten in Wien und in Halberstadt - das Komische liebt das Extreme; das Volkstümliche parliert souverän zwischen Provinz und Palast. Er nahm bei den Eltern von Frank Elstner Schauspielunterricht, sein mimischer Typ verknüpfte den Frack-Charme eines Peter Alexander mit dem Wurzelknorren-Witz eines Hans Moser; er sang mit Herz und Knödel, und mitunter durfte sich beeindruckend sein darstellerisches Talent fürs vertrackt Vorder- wie Hinterlistige offenbaren (DEFA-Film »Das verhexte Fischerdorf«, TV-Film »Abschied vom Frieden«). Im Fernsehen waren es die Sendungen »Mit Lutz und Liebe« oder »Spiel mir eine alte Melodie«, in denen der Sänger, Tänzer, Moderator (mit Papagei Amadeus) Schlager und Volksmusik in jenen Adelsstand erhob, den er überall genießt: Totalopposition zur Realität zu sein, also: heilste Welt. Der Gegensatz zu dem, was uns der Schriftsteller zur Seite gibt: »Das Schöne war nichts als des Schrecklichen Anfang«, »Die Hütte Gottes bei den Menschen«, »Nur die Toten durften bleiben« - drei Bände Notwendigkeitserzählen: Nie wieder! Großartig hingebreitet: manchmal wie Gemurmel, als käme es aus einer Kommode; manchmal Geschmetter, als dränge ein Jahrmarkt herein; manchmal ein Weinen, das nicht fassen kann, was einem da ans Leben fasst mit todkalten Fingern.

Ja, durch den Sänger Jahoda erfuhr des DDR-Bürgers Reiselust von Zeit zu Zeit beschwingten Trost: Denn wenn schon nicht die Welt, dann doch wenigstens das wunderschöne Kiekritzpotschen. Und bevor bei denen drüben »Schmidtchen Schleicher« tönte, da trällerte Lutz Jahoda schon den »Knickebein-Shake«. Als er noch in Stendal sang, zwanzigjährig, war er der jüngste Operettenbuffo deutscher Sprache. Er hat dann gejuxt und gejodelt. Er hat die lustige Musik als augenzwinkernde Trance der Unbeschwertheit gefeiert. Ist dafür, zu Recht, sehr populär geworden. Auch dazu sei noch einmal Gisela Steineckert zitiert: »Ach, manchmal, ob Jahoda mit dem Papagei spaßte oder mit der Blasmusik einmarschierte, mir schien er als der andere, der er gewesen wäre - hätten wir auf der Bühne der DDR dafür grade einen Sinn gehabt. Er hätte den Schnitzler spielen können, Leutnant Gustel, im ›Reigen‹ fast alle männlichen Rollen, er wäre ein Anatol gewesen, und so hätte ich ihn sehen wollen.«

Es ist eine Art Motto, das Jahoda seinem Roman mitgab: »Viele Dinge kommen nicht zurück: Das gesprochene Wort / Der abgeschossene Pfeil / das vergangene Leben / und die versäumte Gelegenheit.« In seiner lebendig riechenden, erfahrungsvoll treibenden, hellhörig ins Tschechische hineinlauschenden Sprache kommt der Autor so bitter, aber nie böse, so heiter, aber nie belustigt jenem Menschen(schicksals)schlag nahe, den der australische Historiker Christopher Clark den »Schlafwandler« nennt: Sehenden Auges und doch freiwillig mit Blindheit geschlagen geht’s in den Untergang.

Der Roman sagt, was war, einfach, weil es einmal war. Das Liebliche wie das Leidliche. Die Liebe wie das Leid. Erst wenn alles beim richtigen Namen genannt wird und im richtigen Wort sich ausdrücken darf, erfährt man, wie es damals gewesen ist. Eine Gedächtnisfrequenz, soll sie einen einprägsamen Ton weitergeben, muss man sehr feinfühlig einstellen. Jahoda kann das. Jedes Ich im Buch ist ein höchst hinfälliger, aber sinnfälliger Aufenthaltsort für die Wirrnisse der Zeit, der Seelenmöglichkeiten. Was entstand, ist eine schlingernde, keinen Augenblick gleichbleibende, empfindliche Körpergeisterwelt. Aus lauter Hereingeschmeckten, Versprengten, Hergespülten, Verängstigten, Verbohrten, Gütebeständigen.

Ja, der Komödiant Lutz Jahoda wäre auf der Bühne, im Film (auch!) ein besonderer Tragöde gewesen: das Leid der Welt an irgendein Weh und Ach genagelt, aber vorher noch den Becher mit süßer Galle leer gesüffelt. Nach Wiener Art sozusagen: tiefst geraunztes Leiden mit Schlagobers. In jedem Seufzer doch der trotzige Versuch eines Wohllauts. Alles mit der eleganten linken Hand und dem rechten moderaten Ingrimm über die Rampe gekellnert. Der Wurstel mit den Wundherztönen. Viel davon blieb ungestaltet. Mit seiner Literatur nun hat der Künstler sich wahrlich - vollendet. Und uns überrascht.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal