Der Traum ist immer stärker

Zum Ende von Gisela Höhnes Intendanz am RambaZamba-Theater

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Kunst der lautlosen Übergänge hat Gisela Höhne immer schon beherrscht. Während andere Häuser den Intendantenwechsel als Krisenfall erleben (der im Falle der Volksbühne katastrophische Züge trägt), endet die Intendanz von Gisela Höhne am - von ihr selbst gegründeten - RambaZamba-Theater nach über 25 Jahren auf frappierende Weise harmonisch. Vielleicht weil an diesem kleinen Haus, das seinen Sitz in der Berliner Kulturbrauerei hat, keinerlei Privilegien hängen, sondern immer nur Arbeit - und der Lohn des hierbei erforderlichen Übermaßes an Geduld ist dann nicht mehr als das Glücksgefühl einer gelingenden Aufführung?

Ist das viel oder wenig? Gisela Höhne hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass es ihr alles ist. Ab kommender Spielzeit übergibt sie die Leitung des Hauses ihrem Sohn Jacob, der am RambaZamba bereits mit mehreren starken Inszenierungen (zuletzt »König Ubu«) auf sich aufmerksam machte.

Der familiäre Bezug ist kein zufälliger. Denn dass sie das »RambaZamba« überhaupt gründete, lag an ihrem Sohn Moritz, der 1976 geboren wurde. Zwei Jahre zuvor hatte die junge Absolventin in einer Co-Produktion der Staatlichen Schauspielschule mit dem Deutschen Theater Pablo Nerudas »Glanz und Tod des Joaquin Murietta« herausgebracht, Regie führten Alexander Stillmark und ihr Ehemann Klaus Erforth. Die Bühne entwarf Ezio Toffolutti, die Masken Wolfgang Utzt - sie war angekommen in der Reihe der Könner ihres Fachs. Der große DT-Regisseur Friedo Solter wollte die junge Schauspielerin in seiner »Elektra«-Inszenierung besetzen, aber da war jetzt Moritz. Und Moritz hatte Trisomie 21, das Down-Syndrom. Sie entschied sich dafür, den Sohn nicht ins Heim zu geben, wie manche ihr rieten, und opferte stattdessen ihre gerade begonnene Laufbahn als Schauspielerin.

Das Theater ließ sie nicht los. Sie studierte Theaterwissenschaften, promovierte. Aber die Theorie allein war es auch nicht. Als Moritz 15 Jahre alt war, beschloss sie, dass er ihr Schauspieler und sie seine Regisseurin werden sollte. Ein eigenes Theater musste her, eine institutionelle Form gefunden werden. Noch vor der Wende initiierte sie einen »Kinderzirkus« und 1991 hob sich erstmals der Vorhang für RambaZamba, dem Intendant Thomas Langhoff die Bühne des Deutschen Theaters zur Verfügung stellte. Zu sehen war die Geschichte des Prinzen Weichherz, der mit sieben Pflaumen als einzigem Gepäck um die Welt zieht. Geschrieben hat das Stück Georg Paulmichl, ein geistig behinderter Autor aus Südtirol.

Damit war der Anfang gemacht für ein Theater mit Behinderten, das alles andere als ein Behindertentheater sein will. Der künstlerische Anspruch war immer der einzige Maßstab für die Inszenierungen. Aus dem Nachteil einen Vorzug machen! Das war fortan das Motto von Gisela Höhne. Was ist schon Normalität? Sie weiß es selbst nicht, lebt heute mit ihrem Sohn Moritz in einer WG zusammen, man hilft sich gegenseitig. Moritz hat wie viele Kinder mit Down-Syndrom große Schwierigkeiten gehabt, sprechen zu lernen, vor allem so, dass man ihn auf der Bühne auch versteht.

Aber es funktioniert, vor allem, weil Gisela Höhne immer daran glaubte, dass Begeisterung für eine Sache Unmögliches möglich macht. Was heißt, Kinder mit Down-Syndrom haben kein Rhythmusgefühl? Sie weiß, dass es nicht stimmt. Man muss nur länger üben, ohne dabei die Freude an der Sache zu verlieren. Darin liegt die große Kunst, die Gisela Höhne, die heute ein großes Ensemble von geistig und körperlich Behinderten leitet, offenbar wie keine zweite beherrscht: zu etwas zu motivieren, was man einerseits gern möchte, aber nicht glaubt, es je erreichen zu können. Heute spielt ihr Sohn Moritz Schlagzeug in der hauseigenen Band.

Von »Mongopolis« über »Endspiel« bis zu »Der gute Mensch von Downtown«, das RambazaZamba wagte sich immer neu an Klassiker der Moderne - und wie selbstverständlich reflektiert es dabei die eigenen Spielvoraussetzungen mit. Es geht dabei um mehr als um Kompensieren von Defiziten, es geht um das zu entdeckende Andersseins. Und zu wissen, es kann schön sein. Ein Problem haben viele der Spieler mit Down-Syndrom: Sie wissen, sie werden aussterben, weil kaum noch Kinder mit Trisomie 21 geboren werden. Mit einem Test kann man heute den Gendefekt bereits während der Schwangerschaft diagnostizieren.

Ein medizinischer Fortschritt ist das gewiss, aber was noch? Die allermeisten Frauen entscheiden sich dann für einen Abbruch. Das ist einerseits eine nachvollziehbare Entscheidung, andererseits ein Problem. Wollen wir nur noch den perfekten Menschen? Schaut uns an, haben wir nicht auch viele Vorzüge, sind wir nicht eine ganz besondere und besonders freundliche Spezies Mensch? Das Thema beschäftigt hier alle Beteiligten.

»DADA Diven«, so lautete der Titel ihrer Jubiläumsinszenierung, die zur Abschiedsinszenierung wurde. Ein virtuoser Parcours aus Bildern, Worten und Musik. Und wie immer geht es dabei quer durch die Weltliteratur von Daniil Charms bis Kurt Schwitters und Ernst Jandl. Ein Spiel nicht nur mit Worten, auch mit Buchstaben, die ja - gesprochen - zuerst einmal Geräusche sind. Am Ende staunt man nicht nur über das, was dabei auf der Bühne passiert, an Nuancierungsmöglichkeiten, Bedeutungsverschiebungen, Erleuchtungen wie Verdunkelungen - sondern auch über sich selbst, wie man hier zuschauend Teil des suggestiven Spiels mit den Elementarmöglichkeiten des Lebens wird.

Nun also endet ihre letzte Spielzeit am RambaZamba. Ihr Sohn Jacob wird das Theater in ihrem Sinne weiterleiten, aber auch eigene Akzente setzen müssen, das weiß sie. So wird sich noch mehr als bisher das Ensemble mischen, behinderte mit nichtbehinderten Schauspielern zusammenarbeiten. Jeder soll sehen, die Grenzen unseres Begriffs von Normalität sind fließend.

Worin liegt das Erfolgsgeheimnis von Gisela Höhne als Regisseurin ebenso wie als Theaterleiterin? Zu allererst wohl in ihrer Ausstrahlung. Sie verbreitet auf gelassene Art eine souverän-freudige Grundstimmung. Da ist nichts Therapeutisches in ihrer Art, auch nichts Missionarisches. Sie wirkt bürgerlich und damenhaft, doch keineswegs wie eine Diva, schon gar nicht wie eine vom Leben gekränkte. Der Star des Abends sind am RambaZamba immer die Schauspieler, aber sie ist diejenige, die es mit ermöglicht. Das ist die Erfüllung eines langen Theatertraums - mit einem Hauch Melancholie grundiert.

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