Phase Null am Dragonerareal

Bürgerbeteiligung zur Zukunft des Gebiets hat begonnen / Initiativen teils skeptisch

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Das ist die Quadratur des Kreises«, stöhnt eine Mitarbeiterin der Stadtentwicklungsverwaltung, nachdem acht verschiedene Initiativen am Dienstagabend ihre Vorstellungen für die künftige Entwicklung des Dragonerareals in Kreuzberg präsentiert haben. Seit ziemlich genau einem Jahr ist das Gelände an Mehringdamm und Obentrautstraße Teil des Sanierungsgebiets Rathausblock. Im Zuge des im Mai unterzeichneten Hauptstadtvertrages zwischen Berlin und dem Bund wird das knapp fünf Hektar große Gelände an das Land gehen. Mit der Rückabwicklung des 36-Millionen-Euro-Deals mit einem österreichischen Investor hat die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) den Weg frei gemacht für eine Entwicklung des Geländes im Sinne der Stadtgesellschaft.

Als »Phase Null« bezeichnet Moderator Marco Mehlin die Auftaktveranstaltung zum Sanierungsgebiet in der nahe gelegenen Christuskirche, zu der hunderte Interessierte erschienen sind. Seit vielen Jahren kämpfen mehrere Initiativen gegen eine Privatisierung des Geländes. Das Spektrum reicht vom eher bürgerlichen Verein »Upstall Kreuzberg« über die auf dem Gelände ansässigen Gewerbetreibenden bis zu linken Initiativen wie »Stadt von unten« oder »Wem gehört Kreuzberg«.

Trotz der teils unterschiedlichen Interessen werden zehn gemeinsame Forderungen präsentiert. Die drei grundlegenden sind der Schutz aller alteingesessenen Gewerbetreibenden, die Errichtung von 100 Prozent für Transferleistungsempfänger dauerhaft bezahlbaren Wohnungen sowie der dauerhafte und unveräußerliche Verbleib in kommunalem Eigentum. Es wird aber auch gefordert, in der nun begonnenen Dialogphase »keine Fakten, keine eigentumsrechtlichen Entscheidungen, keine Vorrechte für neue Nutzer« zu schaffen. Der vom Senat eingesetzte Beauftragte für das Sanierungsgebiet, die »S.T.E.R.N. Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung«, sowie weitere mögliche Planer sollen alle zwei Wochen schriftliche Fortschrittsberichte liefern und »voll transparent« arbeiten.

Es gibt aber auch viele sich widersprechende Ziele. Die Initiative »Dragonerareal für den Stadtteil und die Stadt« wendet sich gegen eine zu starke bauliche Verdichtung auf dem Gelände. Der Künstler Jens Ullrich als Vertreter der Gewerbemieter wünscht sich einen Erhalt des morbiden Charmes. »Wenn etwas Neues entsteht muss auch Altes weichen«, gibt wiederum Michael Sommer von der »Initiative am Kreuzberg« zu bedenken. »Stadt von unten« ist es wichtig, dass viele Wohnungen entstehen, Vertreterin Anna Heilgemeir will auch kein Denkverbot für ein Hochhaus, um widerstrebende Ziele unter einen Hut zu bringen. »Es ist Zeit für 100 Prozent Vision. Nicht das Kapital soll die Stadt bauen; wir können das selber«, sagt sie. »Stadt von unten« fordert auch eine »aufsuchende Beteiligung« bei jenen, die ihre Stimme nicht von selbst erheben. Außerdem finanzielle Kompensation für die vielen Stunden, die beteiligte Bürger in den Gremien verbringen werden. »Viele können sich eine Beteiligung statt ihrer Arbeit nicht leisten«, sagt Heilgemeir.

»Ich mache das schon lange, aber was ich heute gehört habe, ist eine beeindruckende Grundlage, um weiterzuarbeiten«, sagt Theo Winters vom Sanierungsbeauftragten S.T.E.R.N. »Es wird nicht einfach«, ahnt er angesichts der weitreichenden und sich teilweise widersprechenden Forderungen. Es gebe allerdings Zeichen aus Senat und Bezirk, dass der Prozess unterstützt werde, sogar finanzielle Mittel seien vorhanden. »Es ist eine ganze Menge möglich, was so vor fünf Jahren nicht möglich war«, gibt sich Winters zuversichtlich. »Wir müssen und werden ein Beteiligungsverfahren machen, das die Interessen aller trifft«, verspricht er.

»Ich sehe dem Prozess mit Spannung entgegen«, sagt Wohn-Staatssekretär Sebastian Scheel (LINKE). »Dieses Verfahren eröffnet die Möglichkeit, nicht nur ein Areal, sondern die Beteiligung insgesamt neu zu gestalten«, so Scheel weiter. »Wir müssen uns wegen der Bedeutung sehr viel Zeit für den Prozess nehmen«, verspricht er.

»Wir gehen offen an die Sache heran, aber eine gesunde Portion Skepsis gehört immer dazu«, sagt Enrico Schönburg von »Stadt von unten« bezüglich einer wirklichen Bürgerbeteiligung. Wann das Areal tatsächlich an das Land übergeht, ist noch nicht klar. Die Rückabwicklung des Verkaufs zieht sich.

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