Kirchen-Krach um Cranach

Sachsen-Anhalt im Lutherjahr: Wie die Gestaltung des Altarraums in der St.-Marien-Kirche zu Kemberg zum Streitfall wurde

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war kein Zufall, dass Martin Luthers Leichnam nach dem plötzlichen Tod des Reformators in Eis- leben auf dem Rückweg nach Wittenberg für eine Nacht gerade in Kemberg blieb. Vom 21. zum 22. Februar 1546 war seine sterbliche Hülle hier aufgebahrt und 50 Kemberger hielten Ehrenwache. Denn der langjährige Kemberger Pfarrer Bartholomäus Bernhardi wurde schon Luthers Freund, als der noch 15-jährig in Eisenach auf der Lateinschule büffelte - und er blieb es zeitlebens. Immerhin 14-mal predigte der Reformator in Kemberg. So war es kein Geringerer als der spätere Wittenberger Bürgermeister Lucas Cranach der Jüngere, der anno 1565 auch einen gewaltigen Altar für Kembergs spätgotische Stadtkirche St. Marien schuf.

429 Jahre lang war das über fünf Meter hohe und aus zwei Flügelpaaren bestehende Kunstwerk - es zeigt unter anderem die Taufe Christi mit Luther als Taufpaten - der Stolz der Einwohnerschaft. Doch ein Schwelbrand, der die Kirche in der Nacht vom 8. zum 9. November 1994 heimsuchte, vernichtete einen Großteil des Altars. Ein Trauerspiel für das 10 000-Einwohner-Städtchen Kemberg, dem nun ausgerechnet zum Reformationsjubiläum ein weiteres folgt.

Nach dem Brand 1994 gab es zunächst eine Vielzahl Schadensanalysen, Gutachten, Fachdebatten. Danach konservierten und restaurierten Experten nach allen Regeln der Kunst den Altar, ohne aber die Brandstellen zu retuschieren. Dies wäre »unehrlich«, argumentierten sie. Seit dem Jahr 2000 befindet sich das, was von Cranachs Original gerettet wurde, wieder in der Kemberger Kirche - jedoch nicht mehr im Chorraum, sondern in einer speziell hergerichteten Sakristei. Hier sind die Flügelreste bei Führungen öffentlich zugänglich.

An der Gestaltung des Altarraums scheiden sich in Kemberg indes bis heute die Geister. Schnell kam seinerzeit die Idee auf, eine detailgetreue Reproduktion anfertigen zu lassen. Doch Sachverständige waren skeptisch. »Die Kopie eines so hochrangigen Kunstwerks nach Fotografien ist nicht nur wegen der fehlenden genauen Vorlagen unmöglich, sondern auch, weil kaum jemand die feine Technik der Cranach‘schen Malerei beherrscht«, urteilte etwa die Magdeburger Kirchenkonservatorin Bettina Seyderhelm.

Dem schloss sich Kembergs ehrenamtlicher Gemeindekirchenrat an. Also beauftragte er nach einem Wettbewerb - an ihm beteiligte sich auch der Leipziger Maler Wolfgang Mattheuer - den Österreicher Arnulf Rainer, er solle in einer speziellen Übermaltechnik ein eher modern wirkendes Kreuz für den Altarraum schaffen. Es hängt seit 2002 in der Kirche. Man habe lange hierzu »diskutiert und öffentlich, transparent und demokratisch entschieden«, fasst Dieter Schröter, Vorsitzender des Gemeindekirchenrates, zusammen.

Doch die Befürworter einer Cranach-Kopie beschritten parallel dazu eigene Wege. Unter Federführung von Elektromeister Walter Neumann, der zunächst selbst zur Jury für die Altarneugestaltung gehörte, starteten mehrere Kemberger Handwerker 2010 einen bundesweiten Spendenaufruf. 74 000 Euro warben sie dabei ein und gaben so - gegen den erklärten Willen des Gemeindekirchenrates - eine Altar-Reproduktion in Auftrag. Die Arbeiten übernahm die in Eis- leben lebende Kirchenmalerin Mariana Lepadus, Schnitzereien steuerte Holzbildhauer Frank Salzer aus dem sächsischen Kühnhaide bei.

Am 6. Mai präsentierte die Gruppe nun diese Kopie in der Kemberger Stadtkirche. Die Initiative dazu sei von Pfarrer Nathanael Schulz ausgegangen - und auch vom Kemberger Stadtrat, sagt Sascha Engl, der im Zuge des Reformationsjubiläums täglich Gäste durch das Gotteshaus führt. Denn der 86 Meter hohe Turm, der sich weithin sichtbar über St. Marien erhebt, gehöre gar nicht der Kirche sondern der Stadt, sagt er. Da der nicht klimatisierte Turm aber für ein hölzernes Kunstwerk nicht geeignet ist, muss dieses doch im Kirchenschiff gezeigt werden. Und dies rief dann prompt den Gemeindekirchenrat auf den Plan. Er machte von seinem Hausrecht Gebrauch und ließ den kopierten Altar nach einer Woche wieder abbauen.

Sicher, auch ihn schmerze der Verlust dieses einmaligen Werkes, versichert Schröder. Doch Kirche sei eben immer auch Veränderungen unterworfen gewesen, sagt er. So wolle man mit der neuen Altargestaltung zeigen, wie man als »eine lebendige Gemeinde das Neue und das Alte« verbinde.

Unter vielen Einwohnern sieht man das jedoch anders. Sie bauen nun Druck gegenüber der Kirche auf, wollen die Reproduktion künftig im Gotteshaus sehen - nicht anstelle des modernen neuen Altars, aber zusätzlich zu diesem. Auch Sascha Engl gefiele das: »Platz gibt es doch genug.« Sollten nun klärende Gespräche nichts bringen, werde man gar wohl Sachsen-Anhalts Ministerpräsidenten Reiner Haseloff anrufen müssen, heißt es inzwischen in Kemberg. Wer weiß, wie Luther in diese Fall entschieden hätte - Pfarrer Schulz nennt es jedenfalls »eine verfahrene Situation«.

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