Heilloser Zank um den heiligen Berg

In Ost-Jerusalem flammen immer wieder Unruhen auf / Israelische Siedler provozieren mit Rückhalt Netanjahus

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Sicherheitsschleusen, die Überwachungskameras an den Eingängen zum Tempelberg in der Altstadt von Ost-Jerusalem wurden nun vollständig abgebaut; die neue Technik aus hochauflösenden Digitalkameras und Gesichtserkennungssoftware soll erst in einigen Wochen geliefert werden. Doch Ruhe ist dennoch nicht eingekehrt. Während sich Tausende palästinensische Muslime zum ersten Mal seit Tagen zum Gebet auf dem Muslimen und Juden gleichermaßen heiligen Areal einfanden, gingen außerhalb mehrere hundert meist junge Palästinenser auf die Straße, jubelnd über das, was man als »Niederlage Israels« betrachtet. Und immer wieder schlug die Euphorie in Aggression um, wurden Steine, Gegenstände auf Polizisten geworfen, die erneut in großer Zahl in die Ost-Jerusalemer Stadtteile beordert worden waren. Mindestens 90 Menschen, die meisten Palästinenser, wurden verletzt. Wegen der Ausschreitungen gab es erneut Zugangsbeschränkungen für palästinensische Männer unter 50 Jahren.

Neu angefacht wurden die Proteste durch Ereignisse in Hebron. In der südlich von Jerusalem gelegenen Stadt, in der sich das Muslimen und Juden ebenfalls gleichermaßen heilige Grab des Patriarchen befindet, besetzten mehrere Dutzend Siedler ein Wohnhaus, dessen Besitzverhältnisse seit Jahren umstritten sind. Direkt in der palästinensischen Stadt befindet sich eine israelische Siedlung mit gut 700 Einwohnern; die Kontrolle der Stadt ist zwischen Israels Militär und der palästinensischen Regierung aufgeteilt. Die Siedlerbewegung sagt, sie habe das in einem palästinensischen Stadtteil unter israelischer Kontrolle gelegene Gebäude gekauft; der palästinensische Eigentümer widerspricht dem. Der Oberste Gerichtshof Israels urteilte, der Kauf sei nicht nachgewiesen und auch die Militärverwaltung hält die Dokumente für »zweifelhaft«. 2012 war das Gebäude vom Militär geräumt und bis zur endgültigen Klärung versiegelt worden.

Nun hoffen die Siedler, auf Dauer bleiben zu können, denn Regierungschef Benjamin Netanjahu untersagte dem Militär, das das Gebäude bereits umstellt hatte, die Räumung - auf Druck seiner rechten Koalitionspartner, von deren Parlamentsstimmen er abhängig ist. Diese sind verärgert, weil Netanjahu die Metalldetektoren am Tempelberg wieder abbauen ließ; man hatte darauf gehofft, dadurch die eigenen Ansprüche auf das Areal stärken zu können. Das Haus in Hebron, für dessen Bewachung, sollte es dauerhaft von Siedlern bewohnt werden, jährlich ein Betrag von umgerechnet zwei Millionen Euro aufzuwenden wäre, müsse die Gegenleistung für das eigene Stillhalten in der Jerusalem-Frage sein, so Naftali Bennett, Chef der Siedler-nahen Partei »Jüdisches Heim«.

Netanjahu forderte derweil die Todesstrafe für einen Attentäter, der vor einer Woche in einer Siedlung drei Angehörige einer israelischen Familie getötet hat, nachdem bereits Verteidigungsminister Avigdor Lieberman diese Forderung geäußert hatte. Tatsächlich ist nach Militärrecht die Todesstrafe für einige Vergehen möglich; im Zivilrecht ist sie nur für Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgesehen. Nur zwei Mal wurde sie vollstreckt: 1948 gegen Meir Tobiansky und 1962 gegen Adolf Eichmann. Es ist juristisch umstritten, ob die Todesstrafe nach Militärrecht wegen Mordes verhängt werden kann. Gleichzeitig ist eine Vielzahl von Versuchen, die Todesstrafe für Mord im Zivilrecht zu verankern, am Widerstand sowohl der Linken als auch religiöser Juden gescheitert.

Die palästinensische Regierung forderte die Staaten erneut auf, Druck auf Israels Regierung auszuüben. »Wir sind völlig von den Launen der israelischen Regierungskoalition abhängig,« kritisiert Palästinas Regierungschef Rami Hamdallah. »Mein Eindruck ist, dass von uns erwartet wird, dass wir alles hinnehmen, was Netanjahu tut, um seine Regierung am Leben zu erhalten.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal