Zwei Jahre in der »Ecosphäre«

T. C. Boyle: Sein neuer Roman »Die Terranauten« handelt von einem fragwürdigen Experiment

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.

Der US-amerikanische Schriftsteller T. C. Boyle ist mit seinen ziegelsteingroßen, handwerklich meist auf relativ hohem Niveau gemachten und süffigen Unterhaltungsromanen immer nahe an den aktuellen Themen unserer Zeit. In seinem neuen 600 Seiten dicken Epos »Die Terranauten« geht es um die derzeit immer wieder heiß herbeigesehnten Weltraumflüge Richtung Mars bzw. um deren praktische Vorbereitung. Wie verhalten sich Menschen, die ein oder zwei Jahre zusammen auf engem Raum eingesperrt sind? Damit experimentierte man in den USA schon Anfang der 1990er Jahre.

In Tucson, Arizona, steht mitten in der Wüste ein gewächshausartiger Gebäudekomplex, wo Menschen in einer künstlich angelegten Biosphäre zwei Jahre von der Außenwelt abgeschottet leben sollten. Auch wenn das privat finanzierte und von der NASA mit großem Interesse beobachtete Experiment damals vorzeitig scheiterte - vor allem an Insektenbefall -, nimmt T. C. Boyle diese Geschichte als Ausgangspunkt seines Romans und exerziert durch, was passiert, wenn acht Menschen zwei Jahre lang im Namen eines wissenschaftlichen Experiments auf Gedeih und Verderb miteinander auskommen müssen. Klar, dass es dabei immer wieder ganz gewaltig kracht.

Denn die acht Auserwählten, die für zwei Jahre in dem Habitat mit verschiedenen Klimazonen von Wald bis Savanne inklusive eines kleinen Ozeans mit Korallenriff und künstlichem Wellengang leben dürfen, müssen sich erst im wettbewerbsbasierten Verfahren bewähren. Wer auf der Strecke bleibt, darf nicht rein. Das Ganze hat dadurch auch etwas von »Dschungelcamp« und »Big Brother«. Denn natürlich wird jede Kleinigkeit in der Ecosphäre, so der Name der künstlichen Welt, überwacht - egal ob es um den vierteljährlich gemessenen Körperumfang geht, der mit knapper werdenden Ressourcen drastisch abnimmt, oder um das mit typisch amerikanischer Bigotterie beobachtete Sexualverhalten.

Was das Personal in der Ecosphäre angeht, überrascht T. C. Boyle leider wenig: neben dem sportlichen Macker und der gut aussehenden Blondine gibt es natürlich den eigenartigen Nerd, die engagierte Teamleiterin und verschiedene andere Charaktere, die allesamt etwas eindimensional geraten sind.

Fast entsteht der Eindruck, als würde T. C. Boyle in seinem mittlerweile 16. Roman nicht mehr zur Form alter Tage zurückfinden. Die frühe Romane des 1948 geborenen, in Kalifornien lebenden Autors über die hippieske Gegenkultur wie in »Worlds End« oder »Grün ist die Hoffnung« waren jedenfalls weitaus inspirierter. Wobei sich auch »Die Terranauten« über Strecken als Allegorie auf die »Post-68er-Gegenkultur« lesen lässt. Denn die Motivation der acht Eingeschlossenen ist bei all ihrer Karrieregeilheit auch eng mit der Idee einer radikal ökologisch bewussten Lebensweise verbunden. Die Ecosphäre ist gewissermaßen eben auch eine Öko-Kommune, die aber von den Machern im Kontrollzentrum unter der Fuchtel des alles bezahlenden Milliardärs medial maximal ausgeschlachtet wird. Im Souvenir-Shop werden sogar kleine Puppen der acht Terranauten feilgeboten.

Eine dramatische Wendung nimmt das über mehrere Hundert Seiten manchmal etwas zu beliebig dahinplätschernde Epos dann getreu dem üblichen Boyle’schen Spannungsbogen aber doch noch. Denn die schöne Dawn, im Ecosphären-Kommune-Beruf Nutztierwärterin, also diejenige, die die Ziegen melkt, wird plötzlich schwanger und gefährdet damit die oberste Priorität, nämlich keinesfalls die Luftschleuse nach außen zu öffnen. Oder soll sie das Kind etwa in der abgeschlossenen Blase der Ecosphäre bekommen?

Wie eskalativ und entsolidarisierend sich Menschen in einer solchen Situation gebärden können, das fängt Boyle durchaus gekonnt ein. Auch wenn der Gedanke dahinter, dass kollektive, solidarische Strukturen immer zum Scheitern verurteilt sind, auch einen seltsamen Beigeschmack hat. Vom kalifornischen Hippieautor T. C. Boyle hätte man sich da mehr erwartet.

T. C. Boyle: Die Terranauten. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. C., Hanser Verlag, 608. S., geb., 26 €

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