Die Rache der Gehetzten

Unsicherheit, Druck und Kontrolle im Job schaffen Sympathie für AfD

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Schlechte Bedingungen am Arbeitsplatz spiegeln sich häufig in unguten politisch-sozialen Grundorientierungen. Auf diesen Merksatz lässt sich eine repräsentative Studie der Hans-Böckler-Stiftung bringen, die am Mittwoch veröffentlicht wurde.

Im Auftrag der gewerkschaftlichen Denkfabrik hatten der Wahlforscher Richard Hilmer, die Soziologieprofessorin Bettina Kohlrausch, die Soziologin Rita Müller-Hilmer und der Politikwissenschaftler Jérémie Gagné zu Jahresbeginn 5000 Volljährige zu politischen Einstellungen, Wertorientierungen und Sichtweisen auf die Arbeitswelt befragt.

Ein zentrales Ergebnis der Untersuchung: Unter Anhängern der AfD sind Aussagen wie »Durch die Digitalisierung wird die Überwachung und Kontrolle meiner Arbeitsleistung immer größer«, »Ich stecke in unsicheren Billigjobs fest« und »Dass ich für meinen Arbeitgeber leichter erreichbar bin, bedroht mein Privatleben« weitaus verbreiteter als in der Gesamtbevölkerung. Solche Erfahrungen und Wahrnehmungen, so die Studie, haben einen »signifikanten« Einfluss auf einen Hang zu der Rechtspartei. Wer solchen Aussagen zustimmt, wählt mit einer immerhin um vier Prozent erhöhten Wahrscheinlichkeit AfD.

Allerdings ist dabei der naheliegende Umkehrschluss, dass betriebliche Mitbestimmung und tarifliche Regelungen die AfD-Neigung senkten, nicht generell gültig. Das »Vorhandensein von Betriebsräten oder Tarifverträgen« wirke sich bei der Gesamtheit der Beschäftigten »nicht auf die AfD-Affinität« aus. Allerdings lässt sich ein solcher Zusammenhang durchaus feststellen, wenn man eine bestimmte, besonders AfD-affine Untergruppe gesondert betrachtet - nämlich Personen, die bis zu 2500 Euro verdienen, über einen mittleren Bildungsabschluss verfügen und zudem der Aussage zustimmen, dass über das eigene Schicksal »irgendwo draußen in der Welt entschieden« werde. In dieser sehr speziellen, aber für die Untersuchung der AfD-Anhängerschaft relevanten Untergruppe erweisen sich »Unsicherheitserfahrungen am Arbeitsplatz und mangelnder tarifvertraglicher Schutz« als »treibende Faktoren« einer Wahlentscheidung für die AfD.

Jene Ängste und Frustrationen, die Beschäftigte in Richtung der Rechtspartei treiben, wurzeln der Studie zufolge »vorrangig im Gefühl von Ohnmacht angesichts des technologischen Wandels«. AfD-Wähler verbänden die »Zukunft der Arbeitswelt überdurchschnittlich stark mit Unsicherheit«, besonders »im Hinblick auf Fremdbestimmung, Überwachung und Rationalisierung«. Deshalb könne die Rechtspartei in kleineren Betrieben, in denen solche Entwicklungen »unmittelbarer erlebt werden als in großen Betrieben«, besonders viele Anhänger rekrutieren.

Entscheidend für die politische Haltung der Menschen sind der Studie zufolge gar nicht so sehr die Wahrnehmungen der aktuellen Lebenslage als vielmehr negative Erwartungen über deren weitere Entwicklung. »Ausgeprägte persönliche Zukunftssorgen«, etwa um die Absicherung im Alter oder die Zukunft der Kinder, hegen 67 Prozent der AfD-Wähler, in der Gesamtbevölkerung sind es »nur« 46 Prozent.

Interessant sind auch die Befunde zur gesellschaftlichen Stellung typischer Anhänger der AfD: Das Klischee, es handle sich vordringlich um gesellschaftlich »Abgehängte«, wie zum Beispiel Arbeitslose, treffe nicht zu. Wer keiner Erwerbsarbeit nachgeht, wählt nicht signifikant häufiger AfD als die Gesamtheit der Bevölkerung. Dieser Befund passt zu einer jüngeren Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft über die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Das unternehmernahe Institut ermittelte, dass die AfD in Regionen, die besonders stark vom Strukturwandel betroffen sind, auch besonders stark punkten konnte - aber gerade nicht in auffälliger Weise unter Arbeitslosen.

Die neue Böckler-Studie verortet einen Großteil der Rechtsparteigänger zwar in der unteren Mittelschicht. Wer um seinen Job fürchte und das Gefühl habe, nach dessen Verlust sozial aussortiert zu werden, sei empfänglicher für rechte Parteien als Menschen, die sich abgesichert fühlen - insofern sind Abstiegsängste durchaus ein zentraler Faktor. Doch zugleich neigen der Studie zufolge Personen mit besonders hohen Nettoeinkommen stärker zur AfD als eine breitere obere Mittelschicht.

Darin spiegelt sich die programmatische Doppelgesichtigkeit vieler rechtspopulistischer »Bewegungen« und Parteien, die etwa der Jenaer Soziologe Klaus Dörre an anderer Stelle als ein oft diffuses Changieren zwischen »sozial-nationalen« und forciert neoliberalen Appellen charakterisiert, die sich in der Abwehr und Abwertung von als »außenstehend« stigmatisierten Personen vereinbaren lassen. Die neue Studie der Böckler-Stiftung findet dafür den Ausdruck »soziales Sandwich«.

Klar überrepräsentiert sind unter den AfD-Anhängern mit 60 Prozent die Männer; auch nach Altersgruppen ergibt sich in der Studie ein klares Bild: 45 Prozent der AfD-Wähler sind zwischen 30 und 49 Jahre alt, aber nur 37 Prozent aller Wahlberechtigten. Den Aufstieg der AfD als spezifisch ostdeutsche Erscheinung zu bezeichnen, geht der Studie zufolge dagegen fehl, trotz der dort so spektakulären Wahlergebnisse. Zwar leben nur 20 Prozent der Wahlberechtigten im Osten, aber 26 Prozent der AfD-Wähler. Doch bestehe ein »genuiner, womöglich sogar kulturell bedingter Ost-Faktor« kaum: »Stattdessen erklärt die insgesamt schlechtere sozioökonomische Lage zwischen Rostock und Suhl große Teile des Wählergefälles.«

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