Ökolinker Populismus als Ziel

Die englische Green Party gilt vielen als linke Alternative zu Labour. Nur war die Partei bislang eher brav. Das will Zack Polanski jetzt ändern

  • Peter Stäuber
  • Lesedauer: 5 Min.
»Wir brauchen eine Partei, die mutiger ist«: Zack Polanski will Vorsitzender der Grünen werden. Im Bild bei einer Demo gegen das Öl- und Gasfeld Rosebank 2023.
»Wir brauchen eine Partei, die mutiger ist«: Zack Polanski will Vorsitzender der Grünen werden. Im Bild bei einer Demo gegen das Öl- und Gasfeld Rosebank 2023.

Zumindest in einem Punkt herrscht Einvernehmen: nicht Labour. Viele linke Wähler sind empört über die Sparpolitik, die Premierminister Keir Starmer verordnet hat, entsetzt über seine scharfe Rhetorik über Migranten, ernüchtert angesichts der Aufweichung der Klimapolitik. Unter seiner Führung hat sich Labour so weit nach rechts bewegt, dass sich ein wachsender Teil der progressiven Wählerschaft ein Votum für die nominell sozialdemokratische Partei nicht mehr vorstellen kann.

Uneinig ist man sich jedoch darüber, welche Alternative die beste ist. Sollte eine neue landesweite Partei gegründet werden? Oder wäre es besser, auf lokaler Ebene anzufangen, wie es etwa die Liverpool Community Independents tun? Oder sollte man zunächst Basisarbeit betreiben, sich in sozialen Bewegungen engagieren? Manche verweisen auf eine weitere Möglichkeit: die Grünen.

Die Partei erzielte in den Wahlen vom Juli 2024 einen kleinen Durchbruch. Die Green Party of England and Wales (die Grünen in Schottland und Nordirland sind separate Parteien) gewann über 1,8 Millionen Stimmen, das sind mehr als doppelt so viele wie 2019. Das britische Mehrheitswahlrecht verhinderte zwar, dass sich dies in eine entsprechende Anzahl an Sitzen im Parlament übersetzte; aber immerhin gewannen die Grünen vier Mandate – drei mehr als bislang. In 39 von 575 Wahlkreisen kamen sie hinter Labour an zweiter Stelle. In ganz Großbritannien kamen die Grünen auf knapp sieben Prozent der Stimmen – vier Prozentpunkte mehr als 2019.

Sie erreichten diesen Erfolg durch dezidiert progressive Forderungen. In ihrem Wahlprogramm versprachen die Grünen unter anderem den Bau Hunderttausender Sozialwohnungen, ein Ende der Privatisierung im staatlichen Gesundheitsdienst, die Verstaatlichung der Wasser- und Energieversorgung, Steuererhöhungen für Ölkonzerne und Reiche, eine Stärkung der Rechte von Beschäftigten sowie massive Investitionen in erneuerbare Energien.

Den Wahlerfolg haben die Grünen mit dezidiert progressiven Forderungen erzielt.

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Mit diesen Vorschlägen gelang es der Green Party, bei verschiedenen Wählergruppen Unterstützung zu gewinnen. Lange Zeit wurde die Partei als eine Bastion der weißen Mittelklasse belächelt – Umweltfreunde mit Bambus-Kaffeebechern, die es sich leisten können, für eine Partei zu stimmen, die sowieso nie an der Regierung sein wird. Aber das hat sich geändert. In den vergangenen Jahren hat sie mehr jüngere Leute angelockt, insbesondere Uniabsolventen in den größeren Städten. Darüber hinaus hat sie vermehrt ethnische Minderheiten für sich gewonnen sowie muslimische Wähler. Letzteres hat insbesondere mit ihrer klaren Haltung zum Krieg in Gaza zu tun: Anders als die Labour-Partei forderten die Grünen schon früh einen Waffenstillstand und ein Ende der britischen Waffenlieferungen an Israel.

Aber seit den Wahlen ist es eher still geworden um die Grünen. Sie haben es kaum geschafft, öffentlichkeitswirksam in die politischen Debatten zu intervenieren, ihr Profil bleibt blass, die Umfragewerte stagnieren. Das liegt sicherlich auch an den Medien, die wenig Interesse haben an den Greens – im Unterschied etwa zu Nigel Farage von der Rechtspartei Reform UK, der bei jeder Gelegenheit in Fernsehstudios oder zu Interviews eingeladen wird. Hinzu kommt: Die Grünen haben mit Carla Denyer und Adrian Ramsey eine Doppelspitze, und sowohl sie als auch er sind betont zurückhaltend.

Im Gegensatz zu Farage halten sie sich an die freundlichen Gepflogenheiten der Westminster-Gesellschaft, sie sind brav und scheuen sich vor Kontroversen. »Denyer und Ramsay scheinen nette Leute zu sein«, schrieb Joe Todd, Organiser und ehemaliger Labour-Aktivist unter Jeremy Corbyn, vor einigen Monaten auf Novara Media. »Aber das ist genau das Problem. Die Leute sind wütend, und sie wollen, dass ihre Politiker mit ihnen wütend sind.« Er verweist auf den Erfolg der deutschen Linkspartei in den Bundestagswahlen im Februar; die »feurigen Anti-Establishment-Reden« von Heidi Reichinnek hätten zumindest teilweise zu diesem Erfolg beigetragen. So etwas sei auch in Großbritannien möglich.

Hier kommt Zack Polanski ins Spiel. Der 42-jährige Vizechef der Green Party, der seit vier Jahren als Abgeordneter im Londoner Regionalparlament sitzt, hat kürzlich angekündigt, in den kommenden Führungswahlen im August anzutreten – er will Denyer und Ramsay als Parteichef ablösen. Seine Motivation entspringt genau der Kritik, die viele Linke an seine Partei richten: Sie sei zu lahm und zu nett. »Wir brauchen eine Partei, die mutiger ist«, sagte er in dem kurzen Video, in dem er Anfang Mai seine Kandidatur bekanntgab. Er spricht von einem »Ökopopulismus«, der sich gleichermaßen gegen die Klimakrise wie die gesellschaftliche Ungleichheit richtet: gegen das Großkapital, die Waffenkonzerne und die Ölindustrie – und der dies auf offensive Weise klarmacht. Man gewinne nicht, »indem man höflich mit einem System weitermacht, das das Leben der Menschen zerstört«, sagte er in einem Interview mit Open Democracy. Stattdessen müssten die Grünen »klar sagen, wofür wir stehen und wogegen wir sind – ohne uns zu entschuldigen«.

Ökopopulismus bedeute für ihn auch, die Lebensrealität von vielen Menschen anzuerkennen: Wer sich Sorgen mache, ob das Geld fürs Essen und die Heizung reicht, für den habe die Klimakrise nicht die höchste politische Priorität. Er plädiert dafür, die konkreten Probleme der Menschen mit der Klimakrise zu verbinden, etwa, indem man auf die Macht der Konzerne und den Einfluss der Milliardärsklasse abhebt.

Er stellt dabei die Graswurzelarbeit in den Vordergrund, also Organizing an der Basis. »Die Leute sind manchmal besessen von Westminster«, sagte er. »Aber Parlamentsabgeordnete zu gewinnen, steht am Ende des Prozesses. Entscheidend ist, wie man dorthin gelangt, also wie man die Leute einbindet.« Dafür müsse man auch mit jenen Leuten reden, die anderer Meinung sind – darunter Wähler von Reform UK. Er verweist auf das Beispiel USA: »Viele Leute, die [den linken demokratischen Präsidentschaftsanwärter] Bernie Sanders unterstützen, wählten später Donald Trump.« Diese Leute hätten nicht vom linken politischen Lager ins rechte gewechselt – vielmehr hätten sie in Sanders jemanden gesehen, der ihre Probleme ernst nahm und mit Leidenschaft redete. Eine klare und populistische Botschaft sei also entscheidend, um der Rechten den Boden streitig zu machen und Wähler für eine progressive Alternative zu gewinnen.

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