Neue Generation: Parlamentarier fürs Wochenende

Etwa 50 geloste Unterstützer der Neuen Generation debattierten, wie die Staatsform der Zukunft aussehen sollte

Das »Parlament der Menschen« vor dem »Parlament des Geldes« – mit Letzterem betitelte die Neue Generation den Bundestag.
Das »Parlament der Menschen« vor dem »Parlament des Geldes« – mit Letzterem betitelte die Neue Generation den Bundestag.

Die gläserne Kuppel des Reichstagsgebäudes steht für die Transparenz der deutschen Politik. Geht es nach den Aktivist*innen der Neuen – ehemals Letzten – Generation, ist sie jedoch nicht mehr als ein hohles Versprechen. Zu groß und undurchsichtig sei der Einfluss von Geld, insbesondere der von privatwirtschaftlichen Lobbyverbänden. Nachdem die Letzte Generation ihre Ziele für mehr Klimagerechtigkeit nicht erreichen konnte, widmet sich ihre Nachfolgeorganisation nun dem Einsatz für eine »neue Generation der Demokratie«.

Dafür errichtete die Gruppe am vergangenen Wochenende eine eigene Kuppel vor dem Reichstag. Transparent war diese nur teilweise – und auch mit den 25 Metern Höhe des Originals konnte das Kuppelzelt aus Holzgestell, weißem sowie durchsichtigem Stoff nicht mithalten. Doch es sollte eben nicht ums Äußerliche, den Anschein, gehen – sondern um das, was die Demokratie im Kern ausmacht: Die Neue Generation möchte die parlamentarische Demokratie mit zufällig gelosten Bürgerräten ergänzen. Eine Idee, die sich bereits die Letzte Generation und davor die Gruppe Extinction Rebellion groß auf ihre Banner geschrieben hatten. Auch die Bundesregierung hat dieses Mittel für mehr Beteiligung schon mehrfach erprobt, allerdings waren die Ergebnisse nicht bindend und verpufften daher größtenteils.

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Enttäuscht von den vergeblichen Appellen an die Regierung zu Zeiten der Letzten Generation hat sich die Neue Generation dem Selbermachen verschrieben: Ein Wochenende lang sollte sich ein selbsternanntes »Parlament der Menschen« im Kuppelzelt vor dem Reichstagsgebäude Gedanken darüber machen, wie die Demokratie demokratischer und resistenter gegen den Einfluss der Profitlobby werden könne. Dabei sollte die Methode schon einen Teil der Lösung vorwegnehmen: Wie bei einem Bürgerrat wurden die Teilnehmenden zufällig ausgewählt – und zwar so, dass sie in ihrer Zusammensetzung möglichst der deutschen Gesellschaft ähneln.

In Zahlen ausgedrückt hieß das: die Ausgelosten waren im Schnitt 46 Jahre (bundesweit: 45 Jahre) alt, 28 Prozent von ihnen hatten einen Migrationshintergrund (bundesweit: 30 Prozent) und auch bei Geschlechterverteilung und Bildung hatten die Organisator*innen laut eigenen Angaben auf die entsprechende Quotierung geachtet.

Repräsentativ für die deutsche Bevölkerung war das »Parlament der Menschen« damit dennoch nicht. Hauptgrund dafür: Die Gelosten entstammten allesamt einem Topf aus etwa 300 Freiwilligen, der wiederum größtenteils aus Unterstützer*innen der Letzten beziehungsweise Neuen Generation bestand. Die Gruppe ist sich diesem Problem natürlich bewusst und möchte ihren Lostopf daher in Zukunft erweitern. Allerdings kann auch dann nicht von »Repräsentativität« die Rede sein, diese ist bei Losverfahren, für die man sich selbst anmelden muss, schließlich nie gegeben. Um wirklich repräsentativ zu sein, müsste aus den Einwohnermelderegistern der Gemeinden gelost werden – und es bräuchte eine größere Zahl an gelosten »Abgeordneten«.

Diese Fragen waren am Wochenende des »Parlaments der Menschen« dennoch nebensächlich. Von den gelosten 60 Personen waren etwa 50 tatsächlich auch gekommen. Selbst »aus dem äußersten Südwesten Deutschlands«, wie Teilnehmerin Evelin dem »nd« mitteilte. Die 66-Jährige war mehrere Jahre bei der Letzten Generation aktiv und ist davon überzeugt, dass durch Bürgerräte auch jene Stimmen Gehör finden, die sonst überhört werden. Jorgos, 68, hatte eine weniger beschwerliche Anreise. Der Berliner mit politischen Wurzeln in der radikalen, autonomen Linken ist heute bei Extinction Rebellion organisiert. Im Gespräch mit »nd« versprach er sich vom Wochenende eine »radikale Formulierung von Alternativen« – etwas wovon progressive Parteien seiner Meinung nach ablassen, sobald sie ins Parlament einziehen.

Den Einzug in das »Parlament der Menschen« zelebrierten die Teilnehmenden symbolisch, in dem sie ihre Stühle von der Reichstagswiese in das Kuppelzelt trugen. So entstand ein mehrreihiger Stuhlkreis. Nach einer kurzen Einführung des Moderationsteams standen die Teilnehmenden auf, begrüßten sich, lernten sich in kurzen Gesprächen etwas kennen. Dann rief das Abendessen.

Der nächste Tag begann mit einer kontroversen Diskussion um den Ablauf und die Art der Entscheidungsfindung, berichtete ein Teilnehmer dem »nd« im Nachgang. Überhaupt seien es stets solche Fragen nach dem »Wie« gewesen, die große Uneinigkeiten zwischen den Teilnehmenden offenbarten. Inhaltlich waren sich die Wochenendparlamentarier demnach in den wichtigen Punkten einig, was auch damit zu tun haben dürfte, dass es sich im Wesentlichen um Unterstützer*innen der Letzten und Neuen Generation handelte.

Anders wäre es wohl kaum möglich gewesen, dass das »Parlament der Menschen« am Sonntag einen »Prinzipienkatalog« vorstellte, den es mit großer Mehrheit verabschiedet hatte. Dieser lautet wie folgt:

»Wir wollen eine Politik, die

  1. Unsere Lebensgrundlagen schützt.
  2. Jetzt Verantwortung für heute und morgen übernimmt.
  3. Macht in mehr Hände legt.
  4. Von allen für alle.
  5. Formen direkter Demokratie ermöglicht.
  6. Wir wollen einen politischen Orgasmus.
  7. Menschenwürde – unantastbar!«

Konkrete Antworten auf die selbstgesetzte, zentrale Frage »Wie drängen wir den Einfluss von Geld auf unsere Demokratie und Gesellschaft zurück?« finden sich darunter kaum – stattdessen sprach die Neue Generation von »Grundsätze(n) für eine Demokratie, die gegen die Allianz der Rechten und Reichen gewappnet ist«. Zum Abschluss trugen die gelosten Teilnehmer*innen ihre Stühle wieder aus dem Kuppelzelt heraus – und machten den Platz damit symbolisch wieder frei für das nächste »Parlament der Menschen«.

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