Growshop ohne Cannabisverkauf

Im Fachgeschäft für Cannabisutensilien trifft man längst nicht nur klassische Kiffer

  • Jan Schroeder
  • Lesedauer: 4 Min.

»Die Zeiten, in denen Mütter zu mir in den Laden kamen und aufgeregt fragten, ob ihr Sohn jetzt bald stirbt, weil er kifft, sind vorbei«, sagt Ralf. Seit über zwei Jahrzehnten hat er beruflich mit Kiffern zu tun: Sie sind seine Kunden. Der unauffällige Mann will lieber nicht mit vollem Namen in der Zeitung stehen. Er ist seit 22 Jahren Inhaber der »Sun Seed Bank«, eines Growshops im Wedding, und hat erlebt, wie das Rauschmittel populär wurde und der Konsumentenkreis vom stereotypen Kiffer bis zum Manager und zur Krankenschwester gewachsen ist.

Growshops verkaufen im Gegensatz zu ihren niederländischen Pendants, wo Hanf legal ist, nur alle Utensilien rund ums Kiffen und das Zubehör für den Anbau. Obwohl Hanf heute kaum noch dämonisiert wird, will die Politik einfach nicht umdenken. Inzwischen kiffen Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten, Befürworter einer Legalisierung verteilen sich quer durch alle Parteien, und für Schwerkranke gibt es legal Cannabis auf Rezept. Ralf glaubt trotzdem nicht an eine schnelle Legalisierung: »In den nächsten fünf Jahren wird da nichts passieren«, sagt er. Ende der 90er Jahre schon hätten viele Hoffnungen in die rot-grüne Regierung gesetzt, stattdessen segnete diese 1998 sogar ein Verbot von Hanfsamen ab, das noch in der Ära Kohl eingeleitet wurde. Viele Growshops trieb das in den Ruin, Ralf machte dennoch weiter.

In den frühen 90ern beschied ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein Recht auf Rausch. Der Konsum von Hanf und anderen Substanzen wurde entkriminalisiert, wobei der Besitz selbst kleinster Mengen paradoxerweise weiterhin strafbar blieb. Kurz darauf schossen im ganzen Land Growshops aus dem Boden, so wie Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre linke Buchläden. Ähnlich wie die Gründer der Buchläden brach Ralf, der kurze Haare und eine Hornbrille trägt, sein Studium ab und widmete sich ganz dem Laden.

Der große, nachdenkliche Inhaber des kleinen Ladens hält sich betont von allem fern, was nach deutscher Rechtslage nur irgendwie nach Ärger riecht. Er verkauft auch keine »Legal Highs« und rät jedem von den chemisch zusammengemischten Drogen ab, die nur deshalb legal sind, weil der Staat die Zusammensetzung noch nicht kennt. Leute, die offensichtlich damit beschäftigt sind, eine Großplantage aufzuziehen, sind bei ihm falsch. Ralf ist 54 Jahre alt, kifft nach eigener Aussage nicht mehr und kümmert sich um seine Mutter, die oft im Laden ist.

Ein Mann mit Baskenmütze hält Ralf ein bisschen aufgewühlt seine Bong unter die Nase. In starkem englischen Akzent erklärt er, dass ein Dichtungsring fehlt und das Wasser deshalb ausläuft. »Oh Mann, ich liebe dieses Teil. Es ist die Beste, die ich je hatte.« Ralf beruhigt ihn. Der Kunde hat den Ring nur übersehen, er war etwas verrutscht. Ralfs Kunden sind die kleinen Kiffer. Sie kommen, wenn sie Blättchen, Dünger, eine neue Pfeife brauchen oder eben die Bong kaputt ist.

Während am Samstag die Hanfparade zum 21. Mal durch Berlin tourt, muss Ralf seinen Laden hüten. »Alleine mit der Existenz des Ladens stehe ich für die Legalisierung ein«, sagt er. Anlässlich der Hanfparade pilgern auch einige Grasliebhaber zur »Sun Seed Bank«, einem der ältesten Growshops in der Hauptstadt. Ralfs Laden ist lange schon kein verrauchter Szenetreff mehr, eher eine Mischung aus Tabakwarenladen und Gärtnerei. Die Sitzecke ist weg, das Rauchen verboten, und der stereotype Kiffer ist sowieso nur noch einer unter ganz vielen verschiedenen Kunden.

Laut Statistiken hat etwa jeder vierte Deutsche mindestens einmal in seinem Leben gekifft. Zwei bis vier Millionen bauen regelmäßig Joints. Auf lange Sicht erscheint deshalb ein Verbot ähnlich unhaltbar wie einst die Prohibition in den Vereinigten Staaten von Amerika. Dazu passt auch das Wehklagen mancher Richter und Staatsanwälte, die es satt haben, wegen Konsumenten und Kleinstdealern Gerichtszeit zu verschwenden. Subversiv war Hanf nie, und einige konservative Politiker sind überzeugt, dass Kiffer durchaus in der Lage sind, ein »normales« (Berufs-)Leben zu führen.

Fraglich bleibt nur, wie lange Legalisierungs-Befürworter warten müssen, bis die alte Garde von CDU und SPD ausstirbt und durch Nachwuchspolitiker ersetzt wird, die Hanf nicht mehr mit der rebellierenden Linken der 60er und 70er Jahre sowie gescheiterten Existenzen verbindet, sondern mit Reggae und Deutsch-Rap.

Hin und wieder kommen Polizisten in Zivil und fragen Ralf, wo es was zu rauchen gibt. Ansonsten drangsalieren ihn die Behörden eher mit Entsorgungsnachweisen für Müll, einem Sachkundenachweis für den Handel mit Pflanzenschutzmitteln und dem gewöhnlichen Papierkram, der in Deutschland für jeden Schritt verlangt wird. Deshalb schwankt er, ob er nach einer Legalisierung Gras verkaufen will: »Das würde noch mehr Bürokratie bedeuten.«

Die Hanfparade startet diesen Samstag um 10 Uhr am Hauptbahnhof.

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