Enter The Matrix

Der große Pop-Mythos »The Matrix« (1999) ist einer der Lieblingsfilme der neuen Rechten. Das hat er nicht verdient

  • Till Mischko
  • Lesedauer: 5 Min.

Die meisten Analytiker, so der Film- und Kulturkritiker Georg Seeßlen zu Beginn des Jahrtausends, seien sich einig: »Matrix ist ein Vorwand. Ein Vorwand, über dies und jenes zu sprechen, worüber man sonst nicht gesprochen hätte, schon gar nicht zu einer solchen Menge von Zuhörern, über Probleme, die Computer, das Kino und die Wirklichkeit betreffen, Religion, Philosophie, Technik und Wahrnehmung, die Zukunft der Bilder und der Erzählungen.« Zweifelsohne: »Es ist ein guter Vorwand.« Schier unerschöpflich zeigen sich die Anknüpfungspunkte, welche Gelegenheit zur Exegese bieten. »The Matrix« (1999) ist ein visueller Rausch, der Zen-Buddhismus, christliche und jüdische Religion, gesellschaftskritische und philosophische Fragen mit unzähligen Zitaten von »Blade Runner« (1982) bis »Alice im Wunderland« vermengt und ganz nebenher noch mit ein paar der spektakulärsten Martial-Arts- Szenen aufwartet, die das postmoderne Publikum je gesehen hat.

Weltweit spielte der erste Teil der Matrix-Trilogie 463 Millionen US-Dollar ein. Regie führten Larry und Andy Wachowski, die nach einer Geschlechtsanpassung heute als Lana und Lilly in Erscheinung treten. Keanu Reeves verkörpert hier zum ersten Mal den jungen Hacker Neo, der von den Untergrundkämpfern Morpheus (Laurence Fishburne) und Trinity (Carrie-Anne Moss) erfährt, dass die Welt, in der er bisher zu leben glaubte, nicht der Wirklichkeit entspricht: Die Menschen haben den Kampf gegen die Maschinen verloren und werden nun in gigantischen Batterien als lebendige Energiequellen genutzt. Ihre Körper sind mit einer verworrenen Computersimulation, der Matrix, verbunden, die ihnen die Realität bloß vortäuscht. Lediglich ein paar Rebellen konnten sich befreien. In einer entscheidenden Szene des Films stellt Morpheus seinen Auserwählten Neo, von dem er glaubt, dass er die Matrix bezwingen kann, vor die Wahl: »Das ist deine letzte Chance, danach gibt es kein Zurück. Schluckst du die blaue Kapsel, ist alles aus. Du wachst in deinem Bett auf und glaubst an das, was du glauben willst. Schluckst du die rote Kapsel, bleibst du im Wunderland, und ich führe dich in die Tiefen des Kaninchenbaus.«

2003 folgten die kommerziell erfolgreichen Fortsetzungen »Matrix Reloaded« und »Matrix Revolutions«, bei denen die großen Fragen - »Warum sind wir hier? Was ist unsere Aufgabe? Warum ist die Welt so, wie sie ist?« unter dem atemlosen Stakkato krachender Actionszenen schlicht untergingen. Was Seeßlen vor gut 15 Jahren zu Recht begeistert als Film »gegen das Erwachsenwerden und für das Erwachsenwerden« bejubelte, der das Hinterfragen der Verhältnisse geradezu herausfordert, ist heute vor dem Hintergrund einer fortgeschrittenen Politik der Entsolidarisierung, die das darwinistische Prinzip des Rechts des Stärkeren zur obersten Maxime erklärt hat, Projektionsfläche für Trolle, Hardcore-Faschisten, Frauenhasser und »Islamkritiker« geworden. Jene regressive Masse also, die sich in den USA unter dem euphemistischen Sammelbegriff »Alt-Right« tummelt und hierzulande als AfD-Wähler und Identitäre, als »Reichsbürger« und Verschwörungstheoretiker ihr Unwesen treibt.

So fantasiert die Community auf der Webseite »The Red Pill«, dass der Feminismus eine geschickte Strategie der Frauen sei, aus überlegener Position heraus Männer nach Belieben austauschen und auf ihre DNA hin testen zu können, um auf diese Weise für sich das Beste herauszuschlagen. Wie Neo in »Matrix« aber gebe es nun einige Herren, die nicht davor zurückschreckten, die rote Pille zu schlucken und der Wahrheit ins Auge zu blicken.

Geschlecht wird dabei nicht als komplexe soziokulturelle Konstruktion erkannt, vielmehr wird evolutionsbiologisch mit dem Presslufthammer argumentiert: Es gibt in diesem Weltbild Alpha-Männer und es gibt Beta-Männer. Erstere sind selbstbewusst und verfügen über Führungsqualitäten, was ihren sexuellen Marktwert steigert. Die verweichlichten Betas hingegen müssen Frauen mit Geld und Geschenken locken, wobei sie sich bei ihren Balzversuchen kräftig ausnutzen lassen. Bei der nächsten Gelegenheit dann steigen die verdorbenen Liebhaberinnen mit einem richtigen Kerl ins Bett.

Bei »The Red Pill« geht es um mehr als Geschlechterfragen. Als Trump im November letzten Jahres die Präsidentschaftswahl gewann, jubelte die Community: Endlich wieder ein Alpha-Mann an der Spitze, der wisse, wo es langgeht. Das aber, so merkte ein Nutzer an, könne erst der Anfang sein. Die blaue Pille, womit vor allem die Linke gemeint ist, hat ihre Tentakeln überall: Im Geldsystem, in den Medien, in Hollywood, im Schulsystem, in Universitäten, multinationalen Konzernen, dem Finanzamt - diese Institutionen gäben dem Feind erst seine Macht. »The Red Pill« verfügt zurzeit über rund 220 000 Abonnenten.

Auch hierzulande wollen plötzlich alle Hirnverbrannten Auserwählte sein. In einem Hip-Hop-Track mit dem Titel »Matrix«, der auf Youtube zu finden ist, wird unumwunden gegen die »Untermenschen« gewettert. Dort tönt das lyrische Ich vollmundig: »Unser Land kriegt jetzt endlich wieder Männer, die sich wehren […] Du bist Neo und das ist die Matrix.« Der »Taz«-Autor Arno Frank machte kürzlich in seinem Artikel »Neue rechte Posterboys« deutlich, dass es sich bei der Strategie, popkulturelle Phänomene ideologisch aufzuladen, um auf diese Weise eine verunsicherte jugendliche Klientel zu erreichen, um eine Strategie der Identitären handelt. Vorbei die Zeiten von Landserromantik und Hakenkreuz: Ihre Forderungen verpacken die Identitären geschickt hinter einem Instagram-tauglichen Lifestyle, wenn sie nicht gerade die Boote der Flüchtlingshelfer im Mittelmeer versenken wollen.

Mit seinem Schicksal steht »Matrix« nicht alleine da. Ganze Listen von Filmen kursieren derzeit im Internet, mit denen sich vermeintlich gegen Frauen, Fremde und Linke hetzen lässt. So ist auch David Finchers kontroverser »Fight Club« (1999) in die Mühlen der rechten Aneignungsmaschine geraten. Wo manche Kritiker noch eine schwarzhumorige Warnung davor erkannt haben wollen, wie der Konsumkapitalismus geradewegs in den Faschismus führen kann, laden die Identitären zum volksgemeinschaftlichen Popcornabend. Andere Filme wie der pathetische »300« (2006) waren auch schon ehedem von braunem Geist gebraut.

Die rechte Lust am Kino offenbart gleichzeitig auch die hermetischen Denkstrukturen der neuen Nazis: »The Matrix« fordert das Publikum mit seinen zahlreichen Verweisen und Anspielungen in beinahe jeder Szene zum Dialog auf. Das rudimentäre Gegensatzpaar rote Pille - blaue Pille, derer sich die Rechten dabei ideologisch bedienen, reiht sich nahtlos in die Riege der Dichotomien ein, über die sich ihr monochromes Weltbild generiert.

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