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Hardliner-Urteil in Hamburg: Zwei Jahre und sieben Monate

Zwei Prozesse gegen G20-Demonstranten abgeschlossen / SOKO Schwarzer Block ermittelt in 2000 Verfahren / Union will Gesetze verschärfen

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Der 21-jährige Peike S. ist vom Amtsgericht Hamburg wegen seiner Beteiligung an den Ausschreitungen im Umfeld des G20-Gipfels in Hamburg verurteilt worden, ein weiterer G20-Gegner wurde am Dienstag zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Der Prozesse sind die Ersten von vielen weiteren, die folgen werden. Die Urteile könnten wegen einer kürzlich in Kraft getretenen Gesetzesverschärfung hart ausfallen.

Am späten Abend des 6. Juli soll der Angeklagte im Hamburger Schanzenviertel zwei Flaschen auf Polizeibeamte einer Berliner Hundertschaft geworfen haben. Sie begleiteten an jenem Donnerstagabend eine der Spontandemonstrationen, die sich nach der Auflösung der autonomen «Welcome to Hell»-Demonstration gebildet hatten.

Eine Flasche habe einen 30 Jahre alten Berliner Bereitschaftspolizisten am Helm, die zweite am Bein getroffen. Er habe dabei «einen kurzen Schmerz im Nacken gespürt, gibt der Beamte im Prozess an. Er ließ sich nicht behandeln oder krankschreiben und nahm den 21-Jährigen aus Amsterdam anschließend mit Kollegen fest. Am Montag stand Peike S. nun wegen schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung, des besonders schweren Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und auch wegen Widerstand gegen Polizeibeamte vor Gericht. Der Angeklagte hatte sich bei seiner Festnahme in einer Embryonalhaltung zusammengekauert.

Damit habe er sich – weil er dabei seine Muskeln anspannte – der Festnahme widersetzt, so der zuständige Richter Johann Krieten. Sein Urteil: Zwei Jahre und sieben Monate Haft. Damit ging das Amtsgericht sogar über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus. Die hatte bei dem Angeklagten »erhebliche kriminelle Energie« gesehen, dafür ein Jahr und neun Monate Haft beantragt und gefordert, aus »generalpräventiven« Gründen auch die »bürgerkriegsähnlichen Zustände« in das Urteil einfließen zu lassen. Gemeint sind die Ausschreitungen am Freitagabend des 7. Juli. Doch zu diesem Zeitpunkt saß der Niederländer schon in Untersuchungshaft.

Mit der hohen Haftstrafe will Richter Krieten offenbar ein Exempel statuieren. Laut den Prozessbeobachtern von »United We Stand« ist er seit Jahren dafür bekannt, harte Strafen gegen Jugendliche wegen verschiedener Vergehen zu verhängen. Vertreter_innen der Gruppe protestierten vor dem Amtsgericht gegen den »unbedingten Verfolgungswillen des Staates« und »Feindstrafrecht«.
Die Verteidigerin des Angeklagten hatte auf Freispruch plädiert, weil die Ergebnisse der Beweisaufnahme nicht ausreichten, um ihren Mandanten zweifelsfrei zu identifizieren. Ein Polizeizeuge etwa habe angegeben, den Verdächtigen aus den Augen verloren zu haben. Im Prozess sagten die Beamten aus, der Flaschenwerfer habe Rastalocken getragen. Doch Peike S. hat keine Rastas, sagte die Verteidigerin Verina Speckin dem »nd«. Die Embryonalhaltung bei der Festnahme sei eine »Schutzhaltung« ihres verängstigten Mandanten gewesen.

Das hohe Strafmaß begründete Amtsrichter Krieten auch mit der am 30. Mai in Kraft getretenen Verschärfung des Strafrechtsparagrafen 114. Angriffe auf Polizeibeamte, auch bei einfachen »Diensthandlungen« wie Streifenfahrten und Unfallaufnahmen, können nun mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Der Republikanische Anwaltsverein (RAV) hatte die Gesetzesverschärfung Anfang des Jahres als »völlig unverhältnismäßige Strafdrohung für Bagatellhandlungen« kritisiert. Mit der Maßnahme werde ein »Sondergesetz« geschaffen, das schon ein »folgenloser Schubser« gegen Beamte hart bestraft werden könne. Auch der Deutsche Anwaltsverein und der Deutsche Richterbund kritisierten das Gesetz. Richter Krieten sieht das offenbar anders. Er nutzte die Verschärfung, um ein Signal zu setzen. Die Gerichte müssten sich vor die Beamten stellen: »Polizisten sind kein Freiwild für die Spaßgesellschaft oder – wie Freizeitforscher das verharmlosend nennen – für erlebnisorientierte Gewalttäter«, so der Richter.

Vor allem um den Schutz der Grundrechte von Demonstranten sorgt sich dagegen die Hamburger Linkspartei. »Sollten die Richter_innen in den anstehenden weiteren Verfahren ebenfalls derart absurd hohe Strafen verhängen, wäre das ein besorgniserregender und nicht hinnehmbarer Angriff auf die Grundrechte«, erklärte Martin Dolzer, justizpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft. Das Urteil sei »vollkommen unverhältnismäßig«, so Holzer gegenüber dem »nd«. Er hofft auf ein milderes Urteil in der nächsten Instanz und in weiteren Prozessen.

Ein Indiz dafür lieferte ein weiteres Verfahren. Ein polnischer G20-Gegner wurde am Dienstag in Hamburg zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Stanislav B. war im Umfeld der Proteste mit Feuerwerkskörpern, Pfefferspray, potenziellen Wurfgeschossen und einer Schutzbrille festgenommen worden. Sein Verteidiger Jonathan Burmeister kündigte an, in Berufung zu gehen.

»Sehr bedenklich« sei die Tatsache, dass von den insgesamt 28 noch in Untersuchungshaft befindlichen G20-Gegnern 19 Nichtdeutsche seien. Laut Dolzer haben sie alle einen »geregelten« Hintergrund, Fluchtgefahr bestehe nicht. So sieht Dolzer eine durch EU-Recht verbotene Benachteiligung aufgrund ihrer Herkunft.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Hamburg laufen derzeit 109 Ermittlungsverfahren gegen namentlich bekannte Beschuldigte und weitere 64 gegen Unbekannte. Laut internen Zahlen der Hamburger polizeilichen Sonderkommission »Schwarzer Block«, die dem »Spiegel« vorliegen, wird derzeit in 2036 Fällen gegen G20-Gegner ermittelt. Innenpolitikern von CDU/CSU reicht das offenbar nicht. In einem Positionspapier fordern sie, zukünftig auch Mitläufer bei Ausschreitungen strafrechtlich zu belangen. Laut Angaben des RedaktionsNetzwerk Deutschland sind Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) für das Papier verantwortlich. Sie wollen auch jene bestrafen, die »Angreifer unterstützen, indem sie Schutz in der Menge bieten«. Um das zu erreichen, soll der Straftatbestand des Landfriedensbruchs »erweitert« werden. Auch eine »Sympathiewerbung« für »terroristische und kriminelle Vereinigungen« will die Union künftig bestrafen – so heißt es in dem Papier.

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