Arbeit für die Charité heißt Stress

CFM-Angestellte und Gewerkschaftsmitglieder reden Klartext über ihre Arbeitsbedingungen

  • Katharina Schwirkus
  • Lesedauer: 7 Min.

Daniel Turek und Sascha Kraft sind sauer. Beide sind seit einigen Jahren bei der Tochtergesellschaft der Charité, der CFM (Charité Facility Management GmbH), angestellt. Seit mittlerweile einem Jahr gibt es in ihrem Unternehmen Tarifverhandlungen, doch ihre Löhne sind bisher kaum gestiegen. Sie arbeiten in sehr unterschiedlichen Berufen, sind aber beide aktive Gewerkschaftsmitglieder von ver.di. Seit 2016 nehmen Turek und Kraft als Mitglieder der Tarifkommission an den Verhandlungen mit der Geschäftsführung der CFM teil. Das Versprechen der rot-rot-grünen Regierung, sich bei Landesunternehmen und ihren Tochtergesellschaften für die Angleichung der Löhne an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) einzusetzen, gab ihnen Hoffnung.

»Wir haben erst aus der Presse erfahren, dass der Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) über einen Grundlohn von elf Euro nachdenkt«, sagt Turek. »Am Verhandlungstisch haben wir gar nichts erfahren.« Mitte August hatte Kollatz-Ahnen, Aufsichtsratsmitglied der Charité, die stufenweise Angleichung der CFM-Löhne an den TVöD gegenüber der »Berliner Morgenpost« in Zweifel gezogen. Es hörte sich nach dem vorläufigen Ergebnis der Tarifverhandlungen an, die am 15. September weitergehen.

Turek hat eine Ausbildung als Versicherungskaufmann absolviert und kam über Umwege und eine Zeitarbeitsfirma 2011 zur CFM. »Ich wurde damals im Streik ganz schnell eingestellt, erst mal befristet, und schließlich nach zwei Jahren entfristet«, erzählt der 33-Jährige. Er spricht leise. Der Streik von damals, bei dem die CFM-Angestellten zunächst gemeinsam mit den Angestellten der Charité auf die Straße gingen, ist Sascha Kraft noch gut im Gedächtnis. Damals bekamen die Charité-Angestellten ein Tarifangebot und brachen den Streik ab, die CFM-Angestellten gingen jedoch leer aus. Bei manchen Beschäftigten der CFM gibt es noch immer Verbitterung über diese Streikerfahrung.

Kraft arbeitet seit 2008 im Krankenblattarchiv der Charité. »Aber auch davor war ich schon gewerkschaftlich aktiv«, erzählt der 46-jährige. Er ist etwas größer als Turek und begrüßt mit festem Händedruck. »In unseren Augen sind diese 11 Euro von Kollatz-Ahnen nur Wahlkampfgeplänkel, so empfinden wir das als Beschäftigte«, sagt Kraft und lacht. Dann rechnet er vor, dass ein Stundenlohn von 11 Euro nicht ausreicht, um eine ordentliche Rente zu erhalten, nicht einmal, wenn man 40 Jahre einzahlt.

Turek erzählt, dass er heute 9,75 Euro brutto in der Stunde verdient. Als Versorgungsassistent hat er durchaus verantwortungsvolle Aufgaben. Er beliefert die Stationen mit Medikamenten, ist für Bestellungen zuständig. Mit einer Vollzeitstelle verdient er etwa 1230 Euro netto im Monat. Zu wenig, findet er. Ein Kollege, der die gleichen Aufgaben habe und nach dem Tarifvertrag der Charité bezahlt werde, verdiene etwa 2400 Euro netto. »Die machen grundsätzlich den gleichen Job, den ich mache. Wenn jemand von ihnen nicht da ist, vertrete ich sie auch«, sagt Turek.

Kraft kommt auf ein ähnliches Gehalt wie Turek, allerdings nur, wenn man die Anwesenheitsprämie mitrechnet, die er monatlich bekommt. Neben seinem Bruttolohn von 9,18 Euro die Stunde erhält er zusätzlich etwa 150 Euro netto im Monat, wenn er nicht krank wird. Sobald er jedoch krankgeschrieben sein, werden 15 Euro pro Trag von dieser Prämie abgezogen. Sollte er in einem Monat zwanzig Tage krank sein, würde die Prämie gleich für zwei Monate wegfallen. »So wird man krank zur Abreit gezwungen!«, Krafts Stimme wird lauter.

Turek wirft ein, dass auch er diese Prämie bis Anfang 2016 erhalten hatte. »Wir haben die Prämie 2015 erfolgreich skandalisiert«, erinnert sich Kraft. Die LINKE hatte daraufhin im Abgeordnetenhaus Druck gemacht. Kurz darauf wurde die Prämie für die meisten Beschäftigten abgeschafft, verknüpft mit einer kleinen Lohnerhöhung. Das Argument, wer Kranke heilen solle, könne nicht krank zur Arbeit gezwungen werden, hatte damals gezogen. »Ich habe ja nur mit Patientenakten, also mit Kartons zu tun«, sagt Kraft. Daher gehöre er zu einigen wenigen Mitarbeitern, die die Prämie noch erhalten. »Außerdem kriege ich noch 20 Euro Wäschegeld.« Kraft lacht und resümiert: »Am Ende des Monats verdiene ich mit einer Vollzeitstelle 1262 Euro netto, wenn ich nicht krank werde.«

Die Angestellten der Charité unterstützen die CFM-Angestellten teilweise bei ihren Forderungen, an die Tarifverträge der Charité angeglichen zu werden. »Ohne uns ist die Charité nicht möglich« sagt Kraft, viele Angestellte der Charité wüssten das. Die zentrale Herausforderung liegt in der »Mobilisierung und Organisation der CFM-Angestellten selbst«, ist sich Kraft sicher. »Gerade die Befristeten kriegen wir sehr schlecht organisiert, weil sie Angst haben, nicht entfristet zu werden«, sagt Kraft. Derzeit haben noch etwa 750 Angestellte der CFM befristete Verträge, was etwas mehr als 25 Prozent der Angestellten entspricht. Ein anderes Problem besteht darin, dass viele Mitarbeiter der CFM nicht in Vollzeit arbeiten. »Viele Reinigungskräfte haben nur 20- oder 30-Stunden-Verträge, sodass sie noch zum Amt gehen und aufstocken müssen«, sagt Turek. Kraft wird wieder etwas lauter, klopft auf den Tisch und sagt: »Zudem können sich solche Angestellten keine Gehaltseinbußen erlauben, die ihnen beim Streik drohen«.

Gleichzeitig gibt es noch ein anderes Phänomen: Manche CFM-Mitarbeiter sind mit ihren Löhnen zufrieden. »Ein Kollege von mir bekommt fünf Euro mehr als ich in der Stunde, für die gleiche Arbeit«, sagt Kraft. »Solche Angestellten sind schwer für die Tarifverhandlungen zu mobilisieren. Bevor die in die Gewerkschaft gehen, friert die Hölle ein«, sagt Kraft, schüttelt den Kopf und lacht. Diese Lohnunterschiede begründen sich in der Entstehungsgeschichte der CFM. Vor der Gründung der Tochtergesellschaft arbeitete die Charité mit mehr als 200 externen Firmen zusammen, die Dienstleistungen für sie übernahmen. Mit der Gründung der CFM wurden diese Firmen gebündelt. Mitarbeiter, die zuvor in den externen Firmen tätig waren, wurden mit ihren alten Konditionen übernommen. Gleichzeitig wurden neue Mitarbeiter zu Niedriglöhnen angeworben.

Bei aller Klarheit der Probleme, wird gewerkschaftliches Engagement bei der CFM nicht gerade befördert. »Anfang des Jahres wurde ich strafversetzt«, sagt Turek. Seither wird er nicht mehr auf der kardiologischen und nephrologischen Station eingesetzt. Dort war er für die Medikamentenbestellungen zuständig, die auf den Intensivstationen gebraucht werden. »Die Arbeit hat mir sehr gefallen, weil ich mehr direkten Kontakt mit Ärzten und Schwestern hatte. Es war zum Teil aber auch sehr viel zu tun«, erzählt Turek. »Wenn ich Arbeit nicht geschafft habe, musste ich mich im Intensivbereich absichern. Dann habe ich eine Überlastungsanzeige geschrieben«, erklärt Turek. Mit einer Überlastungsanzeige zeigt man dem Arbeitgeber an, dass man aufgrund zu vieler Aufgaben oder fehlender Unterstützung nicht alles schaffen konnte, was an dem Tag vorgesehen war. »Nach nur vier Überlastungsanzeigen im ganzen letzten Jahr wurde ich versetzt.«Tureks Augen fixieren einen Punkt auf dem Tisch, sein Blick wird fest, und er beschreibt mit leiser werdender Stimme, dass es nach jeder Überlastungsanzeige ein Gespräch mit der Logistikleitung gegeben habe. Er sollte sich nochmals erklären, warum er die Arbeit nicht geschafft habe. »Es ging aber grundsätzlich auch immer um die Frage, warum ich das offiziell mache. Weil so eine Überlastungsanzeige an den Betriebsrat und an die Geschäftsleitung geht. Und der Betriebsrat bittet dann um Abhilfe der geschilderten Situation«, erklärt Turek. Die Leitung habe darum gebeten, dass man doch zuerst mit ihnen sprechen solle, wenn man die Arbeit nicht schaffe. »Allerdings hat man oftmals keine Lösungsvorschläge bekommen, wenn man auf Probleme hinwies«, sagt Turek. Oftmals sei auch niemand telefonisch zu erreichen gewesen. »Ich sah mich daher dazu gezwungen, den Weg der Überlastungsanzeige zu gehen, um mich selbst rechtlich über den Betriebsrat abzusichern«, fasst Turek zusammen.

»Man kann das schon als Schikane bezeichnen«, meint Kraft, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat. »Seitdem es die Tarifverhandlungen gibt, werde ich permanent isoliert«, sagt er. So werde er derzeit nicht mehr für LKW-Fahrten eingeteilt. Stattdessen übernimmt er die Innendienste, bei welchen er überwiegend alleine Patientenakten sortiere oder verpacke. Trotz dieser Erfahrung ist sich Kraft sicher, dass sich sein Engagement bei ver.di lohnt: »In Gesprächen mit meinen Vorgesetzten merke ich, dass mich mein Arbeitgeber respektiert.«

Turek machen die erfolgreichen Tarifverhandlungen der Angestellten am Botanischen Garten Mut. »Dort wurde eine stufenweise Angleichung an den TVöD erreicht«, sagt er. Auch Kraft setzt auf dieses Beispiel. Zudem hofft er auch auf ein »Machtgespräch innerhalb der SPD, in welchem sich Müller und Kollatz-Ahnen mal einig werden«.

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