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Das Land, in dem wir gut und gerne...

Bernd Zeller über Martin Schulz, Angela Merkel, die Pkw-Maut und die Abschaffung der Sommerzeit

  • Lesedauer: 3 Min.

Mit unserem heutigen Bericht bestaunen wir das wahlkämpferische Geschick von Martin Schulz, der es mit einer überraschenden Themensetzung schafft, die Sache herumzureißen, aber nicht nur das, sondern sogar zu seinen Gunsten. Der Kanzlerkandidat hat angekündigt, dass er als Kanzler, zu dem man ihn demzufolge zu wählen habe, die Pkw-Maut abschaffen werde.

Dies ist ein praktikabler Vorschlag, denn man müsste zu ihrer Abschaffung sie einfach bleiben lassen. Das geht, Politik besteht zu einem Großteil daraus. An der Ernsthaftigkeit seines Versprechens sollte daher kein Zweifel bestehen, auch wenn er es nicht im Format eines Mehrere-Punkte-Plans präsentiert.

Nun hatte dieselbe Idee und dasselbe Versprechen schon Peer Steinbrück vor vier Jahren, doch ihm hat es nichts genützt, weil die Kanzlerin es adaptiert hatte. Merkel versprach, es werde mit ihr in der kommenden, also jetzt ablaufenden, Legislaturperiode keine Pkw-Maut geben, und das hat sie gehalten. Soll niemand sagen, man wisse nicht, wofür sie steht. Nach Abschluss des Koalitionsvertrages sagte Sigmar Gabriel, jetzt sei die Pkw-Maut auch sein Vorhaben, weil man das so vereinbart habe. Es ist nicht bekannt, womit man der Kanzlerin dieses Zugeständnis abgerungen hat.

Bemerkenswert ist das Zeichen, das Martin Schulz damit gibt. Er sagte, niemand wolle die Pkw-Maut, nur die CSU. Das stimmt, vielleicht nicht einmal die ganze. Der Plan war auch nur populär gemacht worden unter dem Namen Ausländer-Maut, aber so darf sie aus Gründen des EU-Rechts nicht heißen. Da will also keiner diese Maut, aber nur Martin Schulz wäre der Mann, der sie verhindern könnte. Das ist wie mit der Uhrumstellung zur Sommerzeit, die will auch niemand, aber schlichtweg niemand ist in der Lage, sie abzuschaffen. An die Sommerzeit traut sich nicht einmal Martin Schulz heran, bis jetzt jedenfalls. Nächste Woche vielleicht. Er muss nur einen Zeitpunkt abpassen, an dem nicht Merkel doch noch sagt, das ist eine Gewissensentscheidung, dann wäre die Wahl gelaufen. Dann bliebe nur die Möglichkeit, dass die SPD den Ministerposten für Sommerzeit und europäische Uhrharmonisierung besetzt.

Es könnte sich zeigen, dass die Maut noch leichter zu stoppen sein wird als Donald Trump. Martin Schulz wird sich auch mit Präsident Trump anlegen, das kann jemand, der die Maut und die Sommerzeit aufhalten kann. Wenn das mit Trump nicht so recht klappen sollte, bleibt eben die Sache mit der Maut, vielleicht stoppt er sie nicht gleich, sondern erst zur Mitte seiner Kanzlerschaft, damit alle seine Macht erkennen.

Jedenfalls tut Martin Schulz mit diesem neuen Programmpunkt der Demokratie einen Gefallen, denn er zeigt, worum es geht. Wir selbst müssten uns eigentlich um unsere gesellschaftlichen Angelegenheiten kümmern, aber wir kommen nicht dazu. Teilweise, weil wir die Tätigkeit in Gremien scheuen, teilweise, weil wir ohnehin nicht genug Einsicht hätten, aber hauptsächlich, weil wir gar nicht imstande wären, so zu sein wie Martin Schulz. Deswegen entsenden wir Mandatsträger, die uns davon überzeugen, dass sie besser sind als wir, weil sie näher an Martin Schulz sind als an uns, außer im Wahlkampf, da müssen sie mit Schirmen in der Fußgängerzone stehen und um unsere Stimmen werben. Niemand fragt uns, ob wir das wollen, wir wären schon zufrieden, wenn sie uns die Verantwortung abnehmen. Als Wähler sind wir für das Wahlergebnis als solches überhaupt nicht persönlich verantwortlich, schon gar nicht dafür, was die Regierung dann damit macht. Deshalb setzt die Kanzlerin darauf, dass wir in einem Land, in dem wir gut und gerne leben, auch Maut zahlen, denn womöglich kriegen wir was von der Steuer zurück, und uns nicht für Politik interessieren. Vielleicht meint sie auch, wir haben ohnehin ein Präsidialsystem, da hat sie als Kanzlerin nur eine ausführende Funktion unter Erdogan.

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