Jacinda hat schon gewonnen

In Neuseeland stehen die Sozialdemokraten vor einem sensationellen Erfolg

  • Barbara Barkhausen, Sydney
  • Lesedauer: 3 Min.

Egal ob die neuseeländischen Sozialdemokraten die Wahl am Samstag gewinnen, Jacinda Ardern ist schon jetzt eine Siegerin. Denn seit sie sieben Wochen vor der Wahl den Parteivorsitz übernommen hat, hat die erst 37-jährige Politikerin ihre Labour-Partei, die in Umfragen bisher stets chancenlos war, wieder gleichauf mit der konservativen Regierung gebracht.

»Jacindamania« nennen lokale Medien die Begeisterung, die sie seit ihrem Amtsantritt Anfang August in der Bevölkerung ausgelöst hat. Alles nur »Sternenstaub«, sagt dagegen der amtierende Premierminister Bill English. Bisherige Prognosen zeigen ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden führenden Parteien. Zu prognostizieren, wer ab Samstag die rund 4,7 Millionen Neuseeländer als Regierungschef anführen wird, ist damit unmöglich geworden.

Politische Kommentatoren beschreiben Ardern als »charismatisch« und loben ihre »erfrischende Offenheit«. Die junge Parteichefin wirbt für soziale Reformen, mehr erschwingliche Häuser und möchte gegen die Kinderarmut vorgehen. Laut Amnesty International lebt derzeit fast jedes dritte Kind in Neuseeland in ärmlichen Verhältnissen. Der Immobilienmarkt ist ebenfalls für viele zu teuer geworden. Ein Haus in der Hauptstadt Auckland kostet im Durchschnitt 850 000 neuseeländische Dollar (520 000 Euro). Neuseeland gehört inzwischen zu den Industrienationen mit den höchsten Raten an Obdachlosigkeit.

Hilfreich für die Sozialdemokraten war deswegen vergangene Woche die Nachricht, dass der frühere konservative Premierminister John Key sein Anwesen in Auckland für 20 Millionen Dollar verkauft hat, eine luxuriöse Villa, die sein Sohn Max regelmäßig den Neuseeländern auf seinem Instagram-Profil in den Sozialen Medien vorgeführt hat.

Außerdem wollen die Sozialdemokraten 20 000 bis 30 000 weniger Neueinwanderer pro Jahr erlauben, Steuerersparnisse für Reiche streichen und Abtreibungen entkriminalisieren. Universitäten sollen künftig für neuseeländische Studenten umsonst sein, sollte Labour die Wahl gewinnen. Der 55-jährige English, der Finanzminister war, bevor er Premier wurde, verspricht dagegen Steuerersparnisse und Investitionen in Infrastruktur. Der konservative Politiker, der während einer Radiosendung Angela Merkel als sein großes Vorbild nannte, versucht mit dem wirtschaftlichen Erfolg seiner Regierung zu punkten.

Wähler werfen English im Internet dagegen vor, dass seine Regierung die Wirtschaft zwar auf internationaler Ebene brillant gemeistert habe, dabei aber die unteren und mittleren Einkommensklassen zu Hause missachtet hätte. »Ihr habt die Menschen hier vergessen«, schrieb ein Wähler. »Labour kann nicht schlimmer sein, aber zumindest haben sie ein frisches Gesicht und einige gute Ideen.« Kritiker von Ardern schreiben dagegen, dass sie zu unerfahren sei und zu wenig harte Fakten vorlege. »In die Regierung mit Rauch und Verblendung zu kommen, das wird nicht funktionieren, Jacinda«, argumentierte ein konservativer Wähler in der Kommentarsektion des neuseeländischen Mediums »Stuff«.

Unabhängig davon wie die Wahl am Wochenende ausgehen wird, hat der sogenannte Jacinda-Effekt zumindest eines geschafft: Die internationale Aufmerksamkeit auf Neuseeland zu lenken. Selbst CNN oder die »New York Times« haben bereits über Ardern berichtet, die schon mit Frankreichs Emmanuel Macron und Kanadas Justin Trudeau verglichen wurde. Zudem hat die Neuseeländerin Unterstützung von Sozialdemokraten weltweit erhalten. Ermutigende Worte hatte nicht zuletzt der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn in einer Onlinebotschaft an Ardern geschickt: »Schaff es für uns alle«, rief Corbyn darin in die Kamera.

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