Neue Spur in Vermisstenfall im Vatikan
Die 15-jährige Emanuela Orlandi verschwand 1983
Ein Dokument belastet möglicherweise den Vatikan. Das Papier, das den Tageszeitungen »La Repubblica« und »Corriere della Sera« zugespielt wurde, soll zu einer Reihe von Dokumenten gehören, die bereits in der Vatileaks-Affäre eine Rolle gespielt haben. Zur jetzt veröffentlichten fünfseitigen Spesenabrechnung über 483 Millionen Lire (250 000 Euro) soll ein Anhang von 197 Seiten gehören, die im Einzelnen erklären könnten, wofür die Ausgaben erbracht wurden. Der Anhang ist bislang jedoch noch nicht aufgetaucht.
Die Spesenabrechnung ist laut vorliegendem Dokument »für Aktivitäten in Bezug auf die Bürgerin Emanuela Orlandi« aufgestellt. Sie war die Tochter eines Hofdieners von Papst Johannes Paul II. Die 15-Jährige war am 22. Juni 1983 vom Musikunterricht außerhalb des Vatikans nicht zurückgekehrt. Hypothesen über ihr Verschwinden wurden aufgestellt: Eine Terrorgruppe sollte die Freilassung des Papstattentäters Mehmet Ali Agca erpresst haben, eine der Mafia nahestehende Gruppe habe das Mädchen aus Rache wegen fehlgeschlagener Geldtransaktionen entführt, Vatikanangehörige hätten sie entführt, zu Sexorgien missbraucht und umgebracht.
Das jetzt aufgetauchte Dokument - so es echt ist - könnte zu der Fährte passen. Es werden Ausgaben aufgeführt, die »das Fernhalten vom häuslichen Umfeld«, die »Unterbringung in London«, »gynäkologische Untersuchungen« sowie Reiseabrechnungen mehrerer vatikanischer Vertreter, darunter der Gendarmerie, enthalten. Auch wird ein Posten aufgeführt, bei dem mit einem Aufwand von neun Millionen Lire falsche Fährten gelegt werden sollten.
Unwillkürlich wird man bei der Londoner Fährte an den Vorfall um Roberto Calvi, den sogenannten Bankier Gottes, erinnert, der nach dem Zusammenbruch der Banca Ambrosiana nach London flüchtete und dort ermordet wurde. In die Fälle Calvi und Orlandi soll der damalige Direktor der Vatikanbank IOR, Paul Kardinal Marcinkus, verwickelt gewesen sein.
Der Vatikan dementierte. Das Dokument sei »falsch und lächerlich«, erklärte Pressesprecher Greg Burke. Die Erzbischöfe Giovanni Battista Re und Jean Luis Tauran, Adressaten des Dokuments, bestritten, es je erhalten zu haben.
Sollte das Papier falsch sein, so wirft es dennoch einen Schatten auf den Vatikan, aus dessen Reihen es aufgetaucht ist. Zeigt es doch, dass es Interessenten gibt, die Unruhe bringen wollen und so die Politik von Papst Franziskus empfindlich stören könnten.
Die Anwältin der Familie Orlandi, Laura Sgrò, kündigte an, jeder aufgeführten Spur und jeder genannten Person nachzugehen, um Aufklärung in den Entführungsfall zu bringen.
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