Grüne im marktkonformen Konsens

In einer Jamaika-Koalition würden die Träume des deutschen Bürgertums verwirklicht, sagt Robert Zion

  • Robert Zion
  • Lesedauer: 4 Min.

Keine Frage, diese Wahl markiert eine Zäsur in der bundesdeutschen Politik. Doch besteht diese Zäsur nicht allein im Rechtspopulismus, der sich nun auch hier seine parlamentarische Bühne erobert hat. Es ist das deutsche Bürgertum, das in diesen Krisen- und Umbruchzeiten koalitionär endgültig zusammenfindet. Im Grunde ist Jamaika, wie das Bündnis aus Union, Grünen und FDP genannt wird, die Erfüllung eines alten Traums des deutschen Feuilletons, von der »FAZ« bis sogar zu Teilen der »taz«: ein Staat unter Aufsicht des Marktes, politisch repräsentiert von einer »Mitte«, die sich als Stabilitätsanker und mit einer wirtschaftsliberalen wie christlich-konservativen Ausrichtung als natürliche Regierung dieses Staates versteht.

Seit FDP-Chef Christian Lindner unmittelbar nach der Wahl zum Grünen-Chef Cem Özdemir sagte, er sei für Klimaschutz mit »marktwirtschaftlichen Mitteln«, und Özdemir seinerseits »Zwischen Umwelt und Wirtschaft gehört kein oder« auf sein Personenplakat schreiben ließ, da dürfte klar sein, dass die zwei zentralen Figuren, von denen Jamaika abhängen wird, schon längst im »deutschen Konsens« zusammengefunden haben. Ob die »unsichtbare Hand des Marktes« nun »grün werde« (Fritz Kuhn), man von einer »glücklichen Verbindung von Kapitalismus und Demokratie« (Ralf Fücks) sprach oder sich »Ludwig Erhard mit grüner Zigarre« (Cem Özdemir) imaginierte - das Ankommen der Grünen im marktkonformen und konzernkorporatistischen Grundkonsens hat parteiintern eine lange Geschichte, die sich mit einem Parteiflügel nun endgültig durchsetzen wird. Dem steht das Christlich-Soziale der zweiten Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt sowie Winfried Kretschmanns zur Seite, die Umweltpolitik zur Bewahrung der Schöpfung umdeuten und bei denen ebenso auf eine »starke deutsche Wirtschaft« gesetzt wird.

Es ist kein Zufall, dass die Grünen einige ihrer besten landesweiten Ergebnisse im eher konservativen Bayern und Baden-Württemberg eingefahren haben: »Heimat bewahren - Natur schützen«, so schrieb es die grüne Kandidatin aus Landsberg Kerstin Täubner-Benicke exemplarisch auf ihr Wahlplakat. Die Grünen werden nun in Jamaika das an Umweltpolitik und Sozialem durchsetzen, was Angela Merkels »marktkonforme Demokratie« im deutschen Interesse gerade noch zulässt. Sie dürften auch - in Übereinstimmung mit der FDP - ein Einwanderungsgesetz »nach kanadischem Vorbild« verabschieden, dabei übersehend, dass eine an ökonomischer Nützlichkeit ausgerichtete Zuwanderung an der Grundsituation Deutschlands wie Europas nichts ändern wird. Denn anders als Kanada wird sich Europa noch auf sehr lange Zeit ständigen Migrationsströmen aus Afrika und dem nahen- und mittleren Osten ausgesetzt sehen. Es sind in der Tat die Widersprüche des Inselmodells Deutschlands in Europa (mit seinem Exportnationalismus) und Europas in der Welt (das für seine Größe und demografische Bedeutung einen viel zu großen Teil der Ressourcen und Hoffnungen der Welt abschöpft), die diese bürgerliche Koalition - vielleicht sogar die letzte dieser Art - nicht mehr auflösen können wird.

Und darum ist das wichtigste Ergebnis dieser Wahl die Konstellation, die sich in der Opposition ergibt. In dieser steht eine Rechte, die den bürgerlichen deutschen Grundkonsens im Grunde nur radikalisiert und auf die Nation - mit ihrem traditionell völkischen Einschlag - zurückführen will, einer Linken gegenüber, die sich diesen Widersprüchen nun konzeptionell wird stellen müssen, wenn sie eine Chance haben will. In unmissverständlicher Absetzung zur AfD wird diese Linke nun eine eigene Antwort auf die Frage geben müssen, was Deutschland eigentlich ist: ein radikalökonomisches Wachstumsmodell unter Aufsicht des Marktes in der internationalen Konkurrenz oder die historische Aufgabe, Europa als Solidargemeinschaft und Friedensordnung zu vertiefen, es zu demokratisieren und das Kapital wieder unter die Aufsicht der Demokratie zu stellen.

Die deutsche Sozialdemokratie, gegenwärtig noch gespalten in eine rechts- und eine linkssozialdemokratische Partei, hätte dafür international Verbündete, mit Labour in Großbritannien, mit vielen Südeuropäern und - potenziell immer noch - Frankreich, aber auch mit der progressiven Bewegung um Bernie Sanders in den USA. Geht sie diesen Weg nicht, wird die bürgerliche Mitte in Konkurrenz mit der Rechten das Schicksal Deutschlands und damit Europas allein bestimmen.

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