Palästina jetzt Vollmitglied bei Interpol

Blockadeversuche Israels und der USA gescheitert / Autonomieregierung übernahm Ministerien in Gaza

  • Oliver Eberhardt, Erbil
  • Lesedauer: 3 Min.

Lange war um den Antrag gerungen worden, waren Diplomaten aus Israel und den Vereinigten Staaten bestrebt zu verhindern, dass Palästina Mitglied der internationalen Polizeiorganisation Interpol wird. Doch die Bemühungen blieben erfolglos; in geheimer Abstimmung votierten am Mittwoch bei der Generalversammlung in Peking 75 der 133 anwesenden Mitgliedstaaten für die Aufnahme Palästinas.

Es ist eine Mitgliedschaft auf Bewährung: Die palästinensische Regierung hatte sich zuvor dazu verpflichten müssen, die Interpol-Strukturen nicht für »politische, militärische, rassische oder religiöse Maßnahmen« zu nutzen. Doch nicht nur Israel und die USA reagieren abweisend; auch innerhalb der Europäischen Union ist die Zurückhaltung groß.

Man befürchtet, dass die Palästinenser die Möglichkeit, Haftbefehle international vollstrecken zu lassen, nun massiv gegen Israelis einsetzen werden, die an Militäreinsätzen in den besetzten Gebieten teilgenommen haben, und anders als im Fall der Türkei, die in den vergangenen Monaten mehrmals offensichtlich unbegründete Haftbefehle über Interpol vollstrecken ließ, wäre die Situation in Fällen, die den israelisch-palästinensischen Konflikt betreffen, nicht so eindeutig. Jeder dieser Haftbefehle werde genau darauf geprüft, ob die Interpol-Richtlinien eingehalten wurden, sagt ein Sprecher der Organisation: Man werde aber keine juristisch begründeten Haftbefehle aus politischen oder diplomatischen Gründen zurückweisen.

Vor allem aber befürchten einige der Interpol-Staaten, dass als geheim eingestufte Informationen, beispielsweise zur Terrorfinanzierung, an die Hamas gelangen könnten, eine Organisation, die von Interpol als terroristisch eingestuft wird. Vor einigen Wochen hatte sich die Hamas dazu bereit erklärt, die Kontrolle über den Gazastreifen, der seit 2007 von der Organisation regiert wurde, an die international anerkannte Regierung in Ramallah abzugeben.

Eine Vielzahl von Vereinbarungen war in den vergangenen Jahren im Sande verlaufen. Doch in den vergangenen Tagen sind nun tatsächlich Beamte der palästinensischen Autonomieregierung im Gazastreifen eingetroffen, haben dort demonstrativ die Führung über Ministerien und Behörden übernommen. Abgesehen davon werden dort aber die meisten der von der Hamas eingestellten Mitarbeiter weiterhin tätig sein. Außerdem sollen zwar nun Justiz und Polizei in die Regierungsstrukturen integriert werden; die Beamten werden aber überwiegend die selben bleiben.

Die Bereitschaft der Hamas, zumindest nach außen hin Macht abzugeben, liegt vor allem an ihrer akuten Finanznot und dem öffentlichen Druck: Vor einigen Monaten hatte die Regierung in Ramallah die jahrelange Praxis beendet, die Strom- und Treibstofflieferungen durch israelische und ägyptische Unternehmen an den Gazastreifen zu bezahlen; es folgte eine schwere Energiekrise, die für einen massiven öffentlichen Druck auf die Hamas sorgte. Hinzu kommt, dass Ismail Hanijeh, der jahrelang die Hamas-Regierung in Gaza führte, nun die Führung des Hamas-Politbüros übernommen hat; an der Spitze der Regierung stand Jahya Sinwar, der zwar ein politischer Wortführer ist, aber keinerlei Erfahrung in der Führung einer Verwaltung besitzt.

Beide Seiten legen Wert darauf, dass die neue Nähe nur ein Zweckbündnis sei; am Mittwoch erklärte Sinwar zudem, es handele sich nur um eine zeitlich begrenzte Maßnahme, man werde das »Vertrauen der Menschen« zurückgewinnen. Dann lobte er den 27-jährigen Palästinenser, der am Dienstag am Eingang zur Siedlung Har Adar nordöstlich von Jerusalem drei Israelis erschossen hatte, bevor er selbst getötet wurde. Israels Behörden sagen, es habe sich um einen Einzeltäter gehandelt. Sinwar beanspruchte den Anschlag dennoch für die Organisation: »Der Kampfeswille des Volkes, der Hamas kann nicht gebrochen werden.«

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