Es sitzt stramm

Ein neues Stück zur rechten Zeit: Das Grips-Theater streift im Podewil »Das Heimatkleid« über

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 4 Min.

Nazis raus! Wohin denn? Wo ist »raus«? Niemand wolle sie. Sie assimilierten sich nirgendwo. Man könne vielleicht rufen: Linke raus! Die fänden alle Länder gleich gut. Oder Männer raus? Oder ...

In ungewohnte Zusammenhänge gebrachte Fragen, auch starke Sprachbilder charakterisieren das von Tim Egloff inszenierte Einpersonenstück »Das Heimatkleid« von Kirsten Fuchs. Sie schrieb es für das Grips-Theater und konfrontiert darin mit der Wirkung harmlos daherkommender Aussagen, kratzt die Absichten frei. Kurz vor der Bundstagswahl gab es die umjubelte Premiere am Spielort Podewil. Etwas eher wäre noch besser gewesen.

»Nazis raus!«, hört Claire von draußen, als sie für ihre Schwester Luise, als Modebloggerin einspringend, die Chefin der Firma »Das Heimatkleid« für ein Interview besucht. Da ist sie an eine so richtig deutsch - na gut, die Baumwolle kommt aus Griechenland - produzierende Herstellerin geraten und zieht dafür gleich mal so ein Heimatkleid an. Es sitzt stramm. Gut für die Haltung, weil man etwas aufrechter geht. Kein Wunder, dass einem bei der Schilderung da Modelabels mit hinreißenden Namen wie »Deutsches Gewand« in den Sinn kommen oder andere, speziellen Zeitgeschmack schmückende sogenannte Identitärenmode.

Als Nazischlampe beschimpft und durch Kommentare auf ihren Heimatkleidtext im Blog befremdet, verabschiedet sich Claire schrittweise von ihrer Naivität und kommt zu einem Berg von Fragen. Was fordert ihr die Schwester, die zum Studium nach Amerika »raus« ist und in deren Wohnung sie deshalb zog, da ab? Die Autorin lässt es offen. Gute Idee.

Claire gesteht sich ein, dass sie es sich im Kopf schon längere Zeit bequem eingerichtet hat, lenkbar war. »Meine Schwester hatte schon immer meine Ideen.« Jetzt wirkt es, als würde ein Hebel umgelegt. Zumal fast alle Mieter im schwesterlichen Haus, in dem sie nun zwei Tage wohnt, aus unterschiedlichen Gründen politisch einer Partei zu folgen scheinen. Nachbar Tom, der ihr so gefällt, an der Spitze. Warum hatte die Schwester ihr den verschwiegen? Er schenkt ihr einen Luftballon mit den Initialen der Partei, für die er wirbt. Letztlich schaukelt sich die Stimmung im Haus hoch. Claire ist nicht unschuldig daran. Es kommt zur Eskalation vor ihrer Wohnungstür. Hausfriedensbruch im übertragenen Sinne.

Katja Hiller schildert als Claire die Ereignisse rückblickend. Mühelos von einer Stimmung in die andere springend, verfügt sie über starke Präsenz, füllt die fast leere Spielfläche gekonnt aus. Sie wollte sich schon länger einem Solostück stellen und meisterte es nun. Ob sie dafür auch allein die einmalig per Tonspur eingeblendeten Stimmen der Mieter zu deren Motiven sprechen muss, bleibt zu fragen. Kollegiale Hilfe nähme dem Solostück nichts. Hillers Sächsisch ist nicht gut.

Lea Kissing gibt mit ihrem Bühnenbild der Schauspielerin allen Raum. Weiß sind Wand und Boden. Man sieht sich über die Stunde Spielzeit dem riesigen Porträt eines Deutschen Schäferhundes gegenüber. Abgesehen von den Assoziationen, die jeder für sich damit verbinden kann oder auch nicht, kommt im Stück ja der Hund Flocke vor. Ebenfalls von Kissing sind die Kostüme. Neben Legerem und dem Heimatkleid für Claire kleidete sie den das Spiel begleitenden Musiker Johannes Gehlmann an der Gitarre ein. Sein gestreifter Anzug bezieht sich auf die Wände des Theatersaals. Nun ist er Herr Wandmann.

Vor Ende des Stücks streift Claire das Heimatkleid ab. Es schnürte sie ein. Toms Luftballon zerplatzt. Da ist die Luft raus wie aus so manchem Argument, das ihr begegnete. So schnell wie in den letzten Stunden sei noch nie etwas zu Bruch gegangen, sagt sie. Die brisante Inszenierung für junge Leute ab 16 Jahren biedert sich nicht, politische Hintergründe aufklärend, an. Humorvoll lädt sie ein zur Freude am schnellen Denken. Und dafür bleibt sie mit interessantem Programmheft lange im Spielplan.

Nächste Vorstellungen: 3. und 4. Oktober im Podewil, Klosterstraße 68, Mitte

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