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  • Kultur
  • Zum Tod des Schauspielers Andreas Schmidt

Schmetterling sucht Flügel

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Auch die Unverwechselbarkeit hat ihren Sinn für Gemeinde. Der Schauspieler Andreas Schmidt kräftigte in hervorgehobener Art die Nachfolger-Riege der filmischen Junker vom Bleichenwang. Wie sie etwa der große alte Fritz Rasp verkörperte, der durch viele bundesdeutsche Filme geisterte: diese komödiantische Ader und zugleich diese zarte, aber schneidende Abgründigkeit. Oder Hermann Lause, ein Spieler Zadeks: dieses betont beiläufig Herbeischlaksende, mitunter von seltsam spinöser Gefährlichkeit. Das Flatterhafte, Spinnwebartige war auch Schmidts Metier, und in den lustigen Augenblicken des Spiels war die Membran, hinter der das Tragische lauerte, nur hauchdünn. Immer glich er einem pergamentenen Schmetterling mit Neigung zur speziellen Demenz: herumirrend nämlich, um seine Flügel zu suchen - wo nur hatte er die liegen lassen? Ein Blickfang war er, oft jenseits der Stars, und manchmal deren hagerer Jäger - ganz aus feinem Zittern, aus Verschrobenheit heraus. Wenn dieser Vogelspitze sanft krähte, hatte jeder Film (»Pigs will fly«, »Fleisch ist mein Gemüse«, »Ein guter Sommer«) schon mal einen sicheren Grund, dass man ihm ein Hohelied singen würde.

In »Sommer vorm Balkon« von Andreas Dresen spielte er jenen Kraftfahrer Ronald, dessen schmale geistige Schultern sich in der Rolle des Don Juan mächtig verheben. Als er von seiner Kürzestzeit-Geliebten Nike über die richtige Aussprache des Dichters Stendhal belehrt wird, sagt er: »Ha’m wir wieder was dazugelernt.« Sie: »Wieso wir?« Schmidt spielte eine berlinische Verdutztheit, die leider nie begreift, dass ihr eine Dämpfung des Selbstbewusstseins folgen müsste. Schmidt war komisch, aber er warf Schatten auf seine Lustspielfreude - das konnte er bezaubernd; protzig ungelenk und mitunter geradezu heimtückisch in diesem raffinierten Handwerk, schwach und hilfebedürftig zu wirken. Es ist dies das Handwerk der kleinen Parasitenfische - Schmidt trat auf, als spiele er auch das Wirtstier, also den Wal oder mindestens den Hai.

Mit besagter Rolle in »Sommer vorm Balkon« brillierte Schmidt - 1963 im Sauerland geboren - auch auf einer zweiten Traditionslinie: der des proletarisch windigen Gelegenheitsgreifers. Wenn man beim Kraftfahrer bleibt, so führt die Assoziation weit zurück, zu Manfred Krug in »Weite Straße - stille Liebe« oder zum Reifen-Saft des Fred Delmare und dem Taxifahrer von Dieter Montag in der »Geschichte von Paul und Paula«: Männer, die ihr Dasein am Steuer schon für eine wirkliche Bewegung ihres Lebens halten und aus der Beherrschung des Straßenverkehrs das Falscheste ableiten: eine freche Herrenart bei Verkehrsformen im menschlichen Miteinander. Wobei Andreas Dresen an Schmidt besonders dessen Fähigkeit reizte, das Absahnende, das Auftrumpfende ganz unschuldig und diese Triumphlust als Macho nahezu traurig vorzuführen. Er war der Falstaff, der im Grunde als Skelett tanzte. Wenn dieser Typ Schauspieler zugab, aus einer Hölle zu kommen, grinste er bübisch mit seinem Wissen: Höllen haben keinen Ausgang. Außer für Engel - und dann zeigte er auf sich.

In Dresens Film »Timm Thaler und das verkaufte Lachen« agiert Schmidt an der Seite von Axel Prahl als Ratte Belial. Zwei animationsbetriebene Helfer des Teufels. Diesen wahrhaft sonderlichen Künstler zu sehen, war Freude wie Vorfreude. Denn es war zu ahnen, dass sich seine (noch immer) jungenhafte Skurrilität mehr und mehr überwölben würde mit Schicksal, mit gegerbter Kraft, mit noch mehr Zwielicht vielleicht und Geheimnis. Nun ist Andreas Schmidt im Alter von 53 Jahren, nach langer schwerer Krankheit, in Berlin gestorben.

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