Stein zu Fleisch zu Stein
Eine Prometheus-Bakterien-Show im Haus am Lützowplatz
Der Künstler Thomas Feuerstein - welch passender Name! - macht sich im Haus am Lützowplatz an Prometheus, dem mythischen Feuerbringer der Menschen, der deshalb zur Strafe an den Kaukasus gefesselt wurde, in einem Hybrid-Experiment aus Naturwissenschaft und Mythen erforschender Kunst zu schaffen. Feuersteins grundlegende Idee ist es, Bakterien an einer Marmorskulptur des an den Felsen gefesselten Prometheus anzubringen, die einerseits diese Skulptur zersetzen und andererseits den Nährstoff produzieren, mit denen menschliche Leberzellen »gefüttert« werden.
Weil dem mythischen Prometheus auf Strafbefehl der Götter mehrere Adler täglich die Leber aus dem offenen Leibe rissen, stellt dies gewissermaßen eine menschliche Heilungsmethode für den gepeinigten Heros dar. Zugleich ist es ein naturwissenschaftliches Experiment, das selbst Mythen und Metaphern produziert.
Die Apparatur ist beeindruckend. Zentrales Objekt ist »Kasbek«, ein großer Glaskolben, der die Nährstofflösung enthält. Von dort gehen dicke Schläuche zur Marmorskulptur, die bereits am Tage nach der Eröffnung mit gelben Schlieren, eben der Bakterienpopulation, überzogen war. Sukzessive soll sie die Skulptur auflösen. Ein Langzeitexperiment also.
Von »Kasbek« führen weitere Schläuche zum »Oktoplasma«. Hier haben sich auf einem Objekt in Form einer menschlichen Leber bereits einzelne Leberzellen abgelagert, die mit dem Nährstoff versorgt werden und sukzessive wachsen sollen. Eine komplette Leber wird hier nicht entstehen können, immerhin aber eine Schicht aus organischen Leberzellen auf anorganischem Trägerobjekt.
In einem weiteren Raum des Hauses am Lützowplatz hat Feuerstein schließlich die »Ovidmaschine« aufgestellt. Hier landet der Gips, in den im bakteriellen Zersetzungsprozess der Marmor der Skulptur verwandelt wird. Am Ende entsteht doch wieder Gestein, minderwertigeres zwar im Vergleich zum Marmor, aber eben doch Gestein aus dem Vorgang der Zellgewinnung.
Feuerstein ergänzt sein Großexperiment durch ein Hörspiel, durch Zeichnungen geschlängelter Fabelwesen und durch ein großes Wandbild, das in nüchternen Höhenlinien das Kaukasus-Gebirge darstellt. Prozessorientiert, wie der Künstler ist, gewinnt er einzelne Pigmente für das Wandbild sogar aus dem bakteriellen Vorgang.
Mit vergleichsweise großem Aufwand vollzieht Feuerstein in »Prometheus Delivered« eine ganze Reihe von Metamorphosen zwischen Stein und Fleisch. Die erste Verwandlung übernahm bereits der französische Bildhauer Nicolas-Sebastien Adam, der im 18. Jahrhundert das Original der hier verwendeten Marmor-Replik des an den Fels gefesselten Prometheus schuf. Prometheus’ Körper aus Fleisch wurde hier zum dauerhafteren Gestein. Es ist zugleich eine Anverwandlung des Prometheus-Leibes an seinen Kerker, eben den Felsen des Kaukasus.
Dann setzt Feuersteins Stein-zu- Fleisch-Verwandlung mit Hilfe der Bakterien ein. Auch hier wird nicht nur der Körper »rückverwandelt«. Auch das Stück Fels, das der Bildhauer Adam mitschuf, dient als Nahrungsquelle der Bakterien und wird über diesen Weg in Leberzellen mittransformiert. Abbauprodukt des Vorgangs ist schließlich Gips, aus dem eine neue Prometheusfigur entstehen könnte.
»Prometheus Delivered« ist ein Wortspiel mit dem englischen Begriff für Leber (liver) und Lieferung (delivery). Der »geleberte« Prometheus ist zugleich ein »ausgelieferter«.
Noch ein historisches Faktum wird in Erinnerung gerufen: Nämlich, dass in der Antike nicht etwa das Herz, sondern die Leber als Zentralorgan galt. In der Odyssee etwa fährt »der gefiederte Pfeil« des Heimkehrers einem der abgeschlachteten Freier nicht ins Herz, sondern »tief in die Leber«, woraufhin der Getroffene »mit strömendem Blute besudelt taumelnd über den Tisch fiel«. Wieder etwas gelernt, auch über den Gültigkeitsbereich von Metaphern.
»Prometheus Delivered«, bis zum 19. November im Haus am Lützowplatz
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