Legenden über die Garnisonkirche

Martin-Niemöller-Stiftung spricht von Mischung aus Fehlinformationen und Halbwahrheiten

Der preußische Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., vernarrt in seine Garde der Langen Kerls, »hat selbst nie einen Krieg geführt«. Wirklich nicht? Doch: 1715 erklärte er Schweden den Krieg »und eroberte im folgenden Pommernfeldzug das Gebiet um Stettin«.

In einem Gutachten hat eine Projektgruppe der Martin-Niemöller-Stiftung unter die Lupe genommen, wie die Stiftung und die Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche die bewegte Geschichte rund um das barocke Bauwerk vermitteln. Die sechsköpfige Gruppe analysierte, was im Internet, in Publikationen und in der Ausstellung in der provisorischen Nagelkreuzkapelle zu sehen ist. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die inhaltlichen Angebote »eine Mischung aus Fehlinformationen, Halbwahrheiten und ›blinden Flecken‹ enthalten, ein geschöntes Bild vermitteln und von einem historisch qualifizierten und verantwortungsbewussten Umgang mit Geschichte weit entfernt sind«. Es werde »ausgeblendet und glatt gezogen, was die Plausibilität der vorgefassten Entscheidung für eine historisierende Rekonstruktion des Gebäudes infrage stellen könnte«.

Im Gutachten zurückgewiesen wird unter anderem die Behauptung, im Unterschied zu vielen anderen Kirchen in Potsdam und anderswo sei der Kirchenrat der Zivilgemeinde der Garnisonkirche in der Nazizeit nicht von den Deutschen Christen dominiert gewesen. Tatsächlich sei diese antisemitische Gruppierung seit 1933 jedoch in der Mehrheit gewesen, habe 1939 sogar zwei Drittel der Kirchenratsmitglieder gestellt, heißt es. Zwei Drittel der Kirchenratsmitglieder seien damals in der NSDAP gewesen. Damit nicht genug: An der Garnisonkirche habe von 1935 bis 1937 Werner Schütz gewirkt, ein Theoretiker der Wehrmachtsseelsorge, der in seinem Buch »Soldatentum und Christentum« den »totalen Krieg« propagiert habe.

Ins Reich der Legenden verwiesen wird die Darstellung, die Garnisonkirche sei ein Hort des antifaschistischen Widerstandes gewesen, was gemeinhin an Verschwörern des 20. Juli 1944 festgemacht wird, etwa an Ulrich Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld und Henning von Tresckow - der eine wurde nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler hingerichtet, der andere beging Selbstmord. Doch ein Zusammenhang von Garnisonkirche und Staatsstreich sei »sehr unwahrscheinlich«, und es gebe keine Hinweise, dass eine regimekritische Haltung an der Garnisonkirche gefördert worden wäre. Eine als eindrucksvoll eingestufte Rede zur Konfirmation seiner Söhne habe von Tresckow am 11. April 1943 denn auch keineswegs in der Kirche gehalten, sondern im Regimentshaus.

Die Projektgruppe empfiehlt einen konzeptionellen Neustart. Bis dieser Neustart unter Einbeziehung insbesondere von Opferverbänden Früchte trägt, sollte mit den Bauarbeiten nicht begonnen werden. Potenziellen Spendern rät die Projektgruppe, sich zurückzuhalten, bis eine tragfähige Grundlage für Gestaltung des Geschichtsortes erarbeitet sei.

»Wenn wirklich Fehler gemacht wurden, dann werden wir die korrigieren«, verspricht Wieland Eschenburg, Kommunikationsvorstand der Stiftung Garnisonkirche. Das müsse man sich ansehen. Aber: »Wir haben von dem Papier erst durch Medienanfragen erfahren.« Das sei »nicht die Art von Dialog, die wir uns wünschen«. Dennoch versucht Eschenburg, die Sache positiv zu sehen. Er wertet das Gutachten als »Angebot zur Zusammenarbeit«.

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