»Richtige Antworten« der LINKEN auf dem Prüfstand

Oskar Lafontaine hat Recht! Die Linkspartei braucht eine andere Flüchtlings- und Migrationspolitik

  • Andreas Wehr
  • Lesedauer: 6 Min.

Die LINKE konnte bei den Bundestagswahlen leicht zulegen. Das insgesamt gute Ergebnis kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie vor allem im Osten herbe Einbußen unter Arbeitern, Angestellten und Arbeitslosen erlitt. Dort, aber auch in den westlichen Bundesländern, verlor sie vor allem an die AfD Stimmen, insgesamt mehr als 400.000.

Oskar Lafontaine hat sich deshalb mit einer Stellungnahme am 26. September 2017 auf Facebook zu Wort gemeldet: »Allen Grund nachzudenken hat die LINKE trotz ihres guten Ergebnisses darüber, dass nur elf Prozent der Arbeitslosen sie unterstützt haben – weniger als SPD (23 Prozent), AfD (22 Prozent) und Union (20 Prozent) und gerade mal etwas mehr als FDP und Grüne (je sieben Prozent) – und nur zehn Prozent der Arbeiter (Union 25 Prozent, SPD 24, AfD 21). Das sind zwei Prozent mehr als bei der FDP(!), die von acht Prozent der Arbeiter gewählt wurde. Der Schlüssel für diese mangelnde Unterstützung durch diejenigen, die sich am unteren Ende der Einkommensskala befinden, ist die verfehlte ῾Flüchtlingspolitik῾. Dieser Vorwurf trifft nicht nur DIE LINKE, sondern alle bisher im Bundestag vertretenen Parteien, weil bei ihren Antworten auf die weltweite Flüchtlingsproblematik das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit außer Kraft gesetzt wurde.«

Inzwischen liegen auch Ergebnisse zum Wahlverhalten der Gewerkschaftsmitglieder vor. Sie zeigen ein ähnliches Bild: 29 Prozent für die SPD, CDU 24 Prozent, die Linkspartei zwölf, Grüne acht, FDP sieben und AfD 15 Prozent. Die AfD lag also selbst bei Gewerkschaftsmitgliedern deutlich vor der LINKEN! Noch deutlicher fiel der Abstand bei den männlichen Gewerkschaftsmitgliedern aus. Hier lag die AfD mit 18 Prozent klar vor der Linkspartei, die nur elf Prozent wählten.

Katja Kipping widersprach Lafontaines Stellungnahme sofort. Im »nd« vom 28. September 2017 hieß es: »Der Vorstand der LINKEN hatte sich mehrfach deutlich gegen eine Aufweichung der flüchtlingspolitischen Positionen der Partei gewendet. Auch am Montag vertrat Parteichefin Katja Kipping die Auffassung, man habe im Wahlkampf dazu die richtigen Antworten gegeben.«

Sehen wir uns diese »richtigen Antworten« einmal genauer an. In der Langfassung des Bundestagswahlprogramms 2017 heißt es auf Seite 116: »Wir fordern ein Bleiberecht für alle Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, spätestens, wenn sie fünf Jahren in Deutschland leben.« Das ist eine richtige und angemessene Forderung. Eine ganz andere Formulierung findet sich aber weiter vorn, auf Seite 12 des Programms: »Wir unterstützen die Forderungen nach einem sofortigen Stopp der Abschiebungen und nach einem Bleiberecht für alle.« Dazu passt das Verlangen nach »offenen Grenzen für alle Menschen« auf Seite 65. Dies bedeutet aber, einmal zu Ende gedacht, nichts anderes als die Abschaffung des Asylrechts. Denn wenn jeder einmal ins Land Gekommene nicht mit seiner Rückführung rechnen muss, braucht man auch keine aufwändigen Asylverfahren mehr und keine damit befasste Bürokratie. Dies ist eine abenteuerliche Position, die nichts mehr zu tun hat mit einer ernsthaften Suche nach Lösungen für die dringenden Fragen der Ausgestaltung des Asylrechts. Diese Fragen müssen aber gelöst werden, will man den wirklich politisch Verfolgten auch in Zukunft Schutz bieten.

Ihren Gegnern hat es die Linkspartei damit denkbar leicht gemacht, sie als unverantwortlich darzustellen. Die AfD ließ sich diese Gelegenheit denn auch nicht nehmen: Vor allem im Osten konnte man im Wahlkampf überall auf blauroten Plakaten lesen: »Die Linke fordert Bleiberecht für Alle – Wir nicht! AfD«. Es ist zu vermuten, dass sich viele traditionell linke Wähler allein deshalb bei dieser Wahl umorientierten.

Die Forderung nach »einem sofortigen Stopp der Abschiebungen und nach einem Bleiberecht für alle«, steht zudem im Widerspruch zur Politik der Linkspartei, wo sie in Bundesländern an der Regierung beteiligt ist oder sogar – wie in Thüringen – den Ministerpräsidenten stellt. Dort führt man selbstverständlich Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber durch.

Die unverantwortlichen Positionen der Partei zur Asyl- und Migrationspolitik werfen zudem ein bezeichnendes Licht auch auf die Seriosität der gesamten Finanzierungvorschläge im Wahlprogramm. In einem Kommentar vom 28. September 2017 ist dies von der »taz« unter der Überschrift »Die Debatte ist überfällig« aufgegriffen worden: »Die LINKE steht für offene Grenzen für alle Menschen in einem Europa, das sich nicht abschottet.῾ Wenn die Linkspartei aber potenziell alle Menschen aufnehmen möchte, die einen Aufenthalt in Deutschland erstreben, steigen zwangsläufig auch die staatlichen Kosten: für Wohnungsbau, Kitas, Sprachkurse, Sozialleistungen. Und zwar um eine unbekannte Summe, da die Anzahl der Menschen, die nach Deutschland zuwandern möchte, bei offenen Grenzen unbekannt sein muss. Wie die Folgen offener Grenzen finanziert werden sollen, dazu sagt das Linkspartei-Programm nichts: durch noch höhere Vermögen - und Erbschaftsteuern? Durch mehr Verschuldung? Oder durch einen ῾Flüchtlings-Soli῾, wie ihn einst Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow forderte?«

Lafontaine hat also Recht mit seiner Kritik an der verfehlten »Flüchtlingspolitik«, auch seiner eigenen Partei. Seine Intervention war überfällig und wird von vielen ausdrücklich begrüßt. Das zeigen allein die in die Tausende gehenden Likebuttons, die sein Facebookartikel erhielt und die mehr als 700 Nutzer, die seinen Beitrag bisher auf ihre Seiten übernahmen. Beweis für die Unterstützung sind auch die deutlich überwiegenden positiven Kommentare. All das lässt darauf schließen, dass nicht nur in der Wählerschaft der LINKEN, sondern auch in der breiten Mitgliedschaft die asylpolitischen Positionen, wie sie sich im Bundestagswahlprogramm finden, nicht geteilt werden. Die Linkspartei braucht eine andere Flüchtlings- und Migrationspolitik, und zwar dringend!

Andreas Wehr war von 1999 bis 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter der »Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken / Nordische Grüne Linke« im Europäischen Parlament. Er ist Mitgründer des Marx-Engels-Zentrums Berlin. Wehrs Artikel erschien zuerst bei ihm auf der Homepage.

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