Profit geht vor Wissen

Australien kappt Langzeitforschungsprojekte zur biologischen Vielfalt. Von Michael Lenz

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 5 Min.

Rostrote Sanddünen ziehen sich Hunderte von Kilometern durch die Simpson- Wüste im australischen Outback. Dort wächst nur das Spinifex Gras, das rund 70 Prozent der Fläche Australiens bedeckt. In der Simpson-Wüste hört Glenda Wardle von der Universität Sydney die Pflanze aus der Gattung der Stachelkopfgräser wachsen. Aber nicht mehr lange.

Die Tage des Projekts der Professorin für Ökologie und Evolution und die der anderen elf Projekte im »Long Term Ecological Research Network« (LTERN) sind gezählt. Das größtenteils aus staatlichen Mitteln finanzierte Terrestrial Ecosystem Research Network (TERN) hat LTERN zum Jahresende die Mittel gestrichen. Der Grund sind andere Prioritäten der Forschung und - so TERN-Direktorin Beryl Morris gegenüber dem Wissenschaftsjournal »Science« - die angebliche Missachtung regierungsamtlicher Forschungsstandards durch die LTERN-Wissenschaftler. Eine Anfrage des »nd« ließ Morris unbeantwortet.

Die LTERN-Projekte mögen für Politiker, manche wissenschaftliche Laien und die breite Öffentlichkeit als Beschäftigungstherapien für exzentrische Wissenschaftler anmuten. In Wirklichkeit aber sind diese sehr langfristig angelegten Projekte von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Entwicklung, der Veränderung und der Gesundheit der australischen Umwelt.

Beispiel Wüste: In den trockenen Zeiten passiert hier nicht viel. Wenn es dann aber mal regnet, explodiert das Leben. Allerlei einheimische Tierarten, die die Trockenzeit größtenteils in ihren unterirdischen Bauten und Höhlen verbringen, werden durch das plötzlich vorhandene Wasser und die Pflanzen und Insekten als Futter an die Oberfläche gelockt - und oft Beute für eingeschleppte Tierarten wie Füchse und Katzen, die schon so manche australische Spezies fast vollkommen ausgerottet haben.

»Wenn man nur für ein paar Jahre eine bestimmte Region beobachtet, bekommt man nicht die ganze Dynamik mit«, sagt Wardle. Durch ihr seit 1990 laufendes Projekt habe man aber »äußerst bedeutsame Informationen« zum Beispiel für den Schutz gefährdeter Tierarten erhalten wie auch über die Überlebenstechniken von Reptilien und Beuteltieren in dieser harschen Umwelt.

David Lindemayer, wissenschaftlicher Direktor von LTERN, betont die Bedeutung der Projekte für das bessere Verständnis des Klimawandels. »Das sind einige der wenigen Langzeitstudien in Australien und mit Sicherheit die am längsten laufenden. Sie sind besonders angesichts der hypervariablen klimatischen Bedingungen in Australien von Bedeutung. Man muss langfristige Datensätze haben, um die Auswirkungen zu verstehen sowie saisonale Schwankungen von anderen Veränderungen unterscheiden zu können.«

Für die LTERN-Wissenschaftler ist der Einsatz des Rotstiftes an ihren Projekten ein weiterer Ausdruck der Wissenschaftsfeindlichkeit sowie einer engstirnigen Auffassung des Nutzens von Wissenschaft in der konservativen australischen Regierung. Wardle spricht vielen australischen Wissenschaftlern aus dem Herzen, wenn sie sagt: »Meiner Ansicht nach leben wir in einer Zeit, in der die Umwelt als Lieferant von Ressourcen zum Antrieb der Wirtschaft gesehen wird. Der Schwerpunkt wird offenbar auf technologische Innovationen mit der Hoffnung auf schnelle Patente und Profite gelegt.«

Beweise für die Geringschätzung der Wissenschaft der herrschenden politischen Klasse gibt es zur Genüge. Die staatlichen Investitionen im Sektor der universitären Ausbildung zum Beispiel gehören zu den niedrigsten aller OECD-Länder, entsprechend gehören die Studiengebühren zu den höchsten der Welt. Das geht aus dem im September veröffentlichten Report »OECD’s Education at a Glance 2017« hervor. Diese »törichte Politik«, so Jeannie Rea, Präsidentin der Universitätsgewerkschaft »National Tertiary Education Union«, habe das »Potenzial, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Universitäten zu unterminieren«.

Umgerechnet 844 Millionen Euro will die Regierung von Premierminister Malcolm Turnbull den Universitäten streichen. Am stärksten werden davon ausgerechnet die STEM-Fächer betroffen sein, also Naturwissenschaften (Science), Technologie, Ingenieurwissenschaften (Engineering) und Mathematik, heißt es in einer Analyse des Fachverbands »Universities Australia« (UA). »In den nächsten fünf Jahren alleine wird man für schätzungsweise 126 0000 wissenschaftliche und technische Jobs höhere Qualifikationen benötigen. Wenn Australien ein STEM-Kraftwerk sein will, dann kann es sich nicht leisten, die öffentlichen Mittel zur Ausbildung zukünftiger Wissenschaftler zu kürzen und gleichzeitig die Naturwissenschaftsstudenten mehr zahlen lassen«, betont UA-Chefin Belinda Robinson.

Der wissenschaftsfeindliche Kurs der australischen Regierung begann im September 2013 mit dem Amtsantritt von Premierminister Tony Abbott. Der ging regelrecht mit der Sense durch die Wissenschaftslandschaft. Prominentestes Opfer war die Klimaforschung. Sein Nachfolger Turnbull hat zwar einige der Kürzungen des Klimawandelleugners Abbott rückgängig gemacht, wie Klimaforscher Will Steffen von der Australian National University (ANU) konzidiert. »Aber angesichts des Einflusses der Abbott-Fraktion steht die Regierung weiterhin langfristiger Grundlagenforschung feindselig gegenüber«, klagt Steffen, Ex-Mitglied der von Abbott abgewickelten wissenschaftlichen Klimakommission. »Das gilt besonders für Forschung, die das gesellschaftliche Wohlergehen und nicht die Steigerung der Profite des privaten Sektors zum Ziel hat.«

Ein Beispiel dafür ist die Fortsetzung der Förderung von Projekten zur Ausrottung »invasiver Schädlinge und Pflanzen« zur »Steigerung der Produktivität und Rentabilität der australischen Landwirtschaft«. Dem zuständigen Centre for Invasive Species Solutions (CISS) versprach Landwirtschaftsminister Barnaby Joyce umgerechnet 33,5 Millionen Euro für die nächsten vier Jahre. Das CISS werde den Bauern durch »modernste Forschung« zur Optimierung ihrer Bewirtschaftungsmethoden »innovative Lösungen« bieten.

Die LTERN-Projekte hingegen hatten umgerechnet nur vier Millionen Euro pro Jahr gekostet. Jetzt suchen die LTERN-Wissenschaftler händeringend nach neuen Geldgebern. Glenda Wardle weiß: »Das kostet einiges an Zeit und Mühe.«

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