Zeit ist bekanntlich relativ
Amerikanerin wirbt für Einstein-Zentrum in der Geburtsstadt
»Dort drüben, das ist der Platz unserer Träume.« Nancy Hecker-Denschlag zeigt auf ein Areal neben dem Hauptbahnhof von Ulm. »Schon die Architektur soll begeistern, wie in Bilbao oder Sydney«, schwärmt die Amerikanerin. »Yes, we think big. Eine großartige Erlebniswelt soll Albert Einsteins Bedeutung für die moderne Wissenschaft und Technik für jeden erfahrbar machen - ein Magnet für Besucher aus aller Welt.«
Als die Physikerin vor einigen Jahren nach Ulm zog, war sie überrascht: »Die Welt bewundert Einstein, aber hier in seiner Geburtsstadt wird er nicht wirklich angemessen gewürdigt.« Es gibt einen Einstein-Brunnen. Gegenüber vom Bahnhof erinnert ein Denkmal an ihn. Eine Straße trägt seinen Namen und die Volkshochschule. Im Stadtarchiv werden Briefe des Physik-Nobelpreisträgers aufbewahrt.
Das sei zu dürftig, findet nicht nur Hecker-Denschlag. »Für dieses Weltgenie brauchen wir einen Ort, an dem seine Persönlichkeit rundum beleuchtet und zugleich dargestellt wird, was seine Leistungen für uns alle bedeuten«, sagt Professor Joachim Ankerhold, Physiker und Vizepräsident der Universität Ulm. Dafür engagieren sich die Physiker als Vorsitzende im »Verein der Freunde eines Albert-Einstein-Museums in Ulm«. 2016 gegründet, hat er 110 Mitglieder - viele Ulmer, aber auch Einstein-Enthusiasten in anderen Städten und im Ausland.
»Uns schwebt ein populäres Science Center mit drei Hauptbereichen vor«, sagt Hecker-Denschlag. Ein historisch-politischer Teil soll den Lebensweg Einsteins als Spross einer in der Ulmer Region alteingesessenen jüdisch-schwäbischen Familie beleuchten, der wegen der Nazis nach Amerika ging und von dort aus vielen Verfolgten half. Um den Schöpfer der Relativitätstheorie, seine Arbeitsmethode und Entdeckungen soll es im zweiten Teil gehen. Im dritten sollen die experimentelle und auch spielerische Beschäftigung mit Technologien möglich sein, die auf Einsteins Theorien basieren. »Ohne sie wären die Laser-Technik, die GPS-Navigation und vieles im Bereich des autonomen Fahrens nicht möglich«, sagt Ankerhold.
»Das ist eine tolle Sache«, sagt Professor Michael Wettengel, Direktor des Stadtarchivs. Manche Kritiker meinen, Einstein habe von seinen 76 Lebensjahren nur die ersten 15 Monate in Ulm verbracht. Dann siedelte seine Familie nach München um, wo die Firma des Vaters dafür sorgte, dass das Oktoberfest elektrisches Licht bekam.
Dennoch habe der Wissenschaftler stets Interesse an Ulm bekundet, so Wettengel. Er verweist auf einen Brief, in dem Einstein 1929 schrieb: »Auch der Geburtsstadt verdanken wir einen Teil unseres Wesens. So gedenke ich Ulm in Dankbarkeit, da es edle künstlerische Tradition mit schlichter und gesunder Wesensart verbindet.«
Ulm ist dem Großprojekt durchaus zugeneigt. »Wir finden das spannend und absolut richtig für Ulm«, sagt Iris Mann, Bürgermeisterin für Kultur, Bildung und Soziales. Bei der Sicherung des Grundstücks am Hauptbahnhof wolle man helfen. »Der Standort ist super geeignet und wäre ideal.« Doch stellt sie klar: »Wir sehen das aktuell nicht als städtisches Projekt.« Heißt: Kein Geld aus der Stadtkasse.
Auf 40 bis 50 Millionen Euro werden allein die Baukosten geschätzt. Der Verein hofft, das Geld mit Sponsoren und einer Crowdfunding-Kampagne aufbringen zu können. Geworben wird u. a. mit einem T-Shirt mit der Aufschrift »Albert-Einst-Ein-Ulmer«. »Klar, es kann Jahre dauern, bis wir soweit sind«, sagt Ankerhold. Aber Zeit sei bekanntlich relativ. dpa/nd
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