»Es gibt keine gemeinsame Opposition«

Der Parteienforscher Gero Neugebauer über das Verhältnis von SPD und Linkspartei im Bundestag

  • Lesedauer: 4 Min.

Was muss die SPD tun, um in der Opposition jene Glaubhaftigkeit zurückzugewinnen, die sie bei ihren Wählern offenkundig verloren hat?

Eine Oppositionspartei hat keine Chance, Versprechen in Taten, sprich Regierungspolitik, umzusetzen. Deshalb sind meines Erachtens Parteien in der Opposition dann glaubhaft, wenn sie die Aufgabe der Kontrolle der Regierung ernst nehmen. Ob den Oppositionsparteien das gelingt, wird die Parlamentspraxis zeigen.

Ist die gemeinsame Opposition im Bundestag für eine Normalisierung des Verhältnisses zwischen SPD und Linkspartei ein günstiges Umfeld oder eher eine zusätzlich erschwerende Bedingung?

Es gibt keine gemeinsame Opposition. Beide Parteien sind in der Opposition - und in der gibt es keine Koalition. Dennoch ist das Umfeld nun günstiger. Anders als zwischen 2005 und 2009 - da ging es um den Mindestlohn - oder zwischen 2013 und 2017 kann die Linksfraktion in der Opposition die Regierungspartei SPD nicht mit Anträgen vorführen, um danach zu erklären, die wollten ja ihre eigenen Ziele nicht umsetzen. Wobei so getan wurde, als gälten ein Koalitionsvertrag und eine daraus abzuleitende Loyalität nichts.

Welche Strategie gegenüber der jeweils anderen Partei würde SPD und Linkspartei stärken?

Beide Parteien müssen sich verstehen als Opposition, die die Regierung bekämpft. Sich gegenseitig anzumachen, stärkt nicht die eigene Position. Beide Parteien, jedoch insbesondere die Linkspartei, haben ja das Problem, nur zusammen - und mit den Grünen - eine Machtperspektive zu haben. Wenn die Linkspartei an die Regierung kommen will, muss sie sich schon in der Opposition als eigenständige Kraft verstehen, die nur gemeinsam mit anderen Parteien einen Regierungswechsel herbeiführen kann. Sie muss sich also als Teil einer gemeinsamen Strategie denken. Das Gleiche gilt für die SPD.

Aber jede Partei muss sich doch auch mit eigenen Positionen profilieren!

Natürlich. Die SPD versteht sich als Partei links von der Mitte. Die Linkspartei steht links von der SPD. Das ist eine eindeutig Arbeitsteilung, die aber nicht bedeutet, dass man sich ständig gegenseitig angiften muss. Die Linkspartei kann sich zum Beispiel bei der Frage profilieren, wie die Politik die Ungleichheit verringern kann. Ein Alleinstellungsmerkmal ist auch die Kritik an der Militarisierung der Außenpolitik.

Und wie bewerten Sie den jüngsten Konflikt innerhalb der Linkspartei?

Insgesamt verlieren SPD, Linkspartei und Grüne seit 2013 an Zustimmung. Dieses politische Lager ist in der Defensive, das macht nervös und begünstigt solche Konflikte. Zudem gibt es innerhalb der Linkspartei inhaltliche Differenzen bei der Frage, wie man mit Flüchtlingen umgehen sollte. Dahinter steckt die Frage: Sollen Menschen, die nach Deutschland kommen und hier Schutz oder Arbeit suchen, die gleichen Ansprüche zum Beispiel auf Unterstützung haben wie die, die hier zu Hause sind? Oder sollen sie beispielsweise weniger finanzielle Unterstützung erhalten, weil sie noch nicht in die Sozialkassen einzahlen konnten?

Welches Schicksal sagen Sie den Grünen in einer Jamaika-Koalition voraus?

Möglicherweise werden sie in der Umarmung von Schwarz-Gelb umkommen, soll heißen, ihre politische Identität verlieren - oder, bevor es soweit kommt, durch eine dagegen aufmüpfig werdende Basis zum Verlassen der Koalition gezwungen werden.

Die Gedankenspiele zu Rot-Rot-Grün sind mit der Wahl eingefroren worden. Sind sie obsolet?

Ob die Perspektive realistisch ist, muss zwar angesichts der gegenwärtigen Stimmenverteilung auf die Parteien bezweifelt werden, nur sollte niemals nie gesagt werden. Nur der Wandel ist beständig.

Vielleicht wirft die Anwesenheit der AfD im Bundestag bisherige Gewohnheiten ja völlig durcheinander, auch in der Opposition. Was ist von SPD und Linkspartei zu erwarten, was den Umgang mit der dritten Oppositionspartei betrifft?

Hinsichtlich der AfD werden beide Parteien sich wahrscheinlich ähnlich abweisend verhalten. Die Reizwirkung der Partei AfD ist bei der Linkspartei aus verschiedenen Gründen offensichtlich stärker als bei der SPD: Sie hat im Wahlgebiet Ost einen höheren Wählerverlust an die AfD als die SPD. Deshalb wird die Linkspartei möglicherweise eher auf die Strategie der AfD reagieren, den Wahlkampf im Bundestag fortzusetzen.

Wie sollte man mit der AfD umgehen?

Formal korrekt, inhaltlich auf Deutungshoheit über die Fakten bestehen, politisch durch eine von Werten wie Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit geleitete Politik. Zudem sollte man die Konsequenzen der politischen Ziele der AfD für die Gesellschaft verdeutlichen. Es sollte ihr auch das Recht eingeräumt werden, sich bei Gelegenheit zum Trottel machen zu dürfen.

Gibt es eine Pflicht zur konzertierten Aktion?

Ja, allerdings eher nach dem Prinzip: getrennt vorgehen, vereint überwinden. Jede Bundestagspartei hat ein eigenständiges politisches Profil und folgt bestimmten politischen Orientierungen, hoffentlich jedenfalls. Deshalb kann die Differenziertheit des demokratischen Spektrums gegenüber nicht tolerierbaren Positionen der AfD demonstriert werden, wenn es nicht die eine oder andere Partei vorzieht, sich indifferent zu verhalten. Ein neutrales Verhalten ist nicht möglich. Wer sich gar nicht zur AfD verhält, stärkt sie.

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