Im Namen des Artenschutzes

In Thüringen bei Ohrdruf leben sechs Hund-Wolf-Mischlinge - sie werden möglicherweise bald getötet

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Fotos sind ziemlich verschwommen. Vor allem zeigen sie Augen, die in der Dunkelheit leuchten, scharfe Umrisse sind kaum zu sehen. Aber sie stellen eine kleine biologische Sensation dar.

Denn das, was die Fotofallen in der Region um den Standortübungsplatz der Bundeswehr im thüringischen Ohrdruf aufgenommen haben, ist der Beweis für etwas, worüber bislang nur spekuliert worden war: Dass nämlich die Ohrdrufer Wölfin sogenannte Hybriden geworfen hat - halb Wolf, halb Hund. Sie hat sich offenbar mit einem frei laufenden oder frei lebenden Hund eingelassen, weil sie in ihrem Revier keinen anderen Wolf zur Fortpflanzung fand.

Drohungen

Die sechs Hund-Wolf-Mischlinge von Ohrdruf haben in Thüringen die Emotionen hochkochen lassen. Die Gegner eines Abschusses haben inzwischen mit einer Online-Petition weit über 10 000 Unterschriften gesammelt. In den Medien, im Landtag, auf der Arbeit und unter Freunden debattieren die Thüringer mitunter aggressiv, was mit den Tieren passieren sollte. Jäger aus der Ohrdrufer Umgebung berichten im Zusammenhang mit dem Fall gar über anonyme Morddrohungen gegen sie im Internet. dpa/nd

Solche Verbindung zwischen Hunden und Wölfen sind in Deutschland extrem selten. Der Thüringer Fall der Hybriden sei erst der zweite überhaupt, seit der Wolf sich wieder in Deutschland ausbreite, sagt Helene Möslinger, die für das Lupus-Institut in Spreewitz in Sachsen arbeitet. Die Einrichtung gilt als eine der anerkanntesten für die Erforschung von Wölfen in Deutschland.

Nachdem der Wolf in Deutschland etwa 150 Jahre lang ausgerottet war, wurden nach Angaben des Naturschutzverbandes NABU im Jahr 2000 die ersten Wolfswelpen der jüngeren deutschen Geschichte in der Oberlausitz geboren. Von da an sollte es noch 14 Jahre dauern, bis diese Tierart in Gestalt der Ohrdrufer Wölfin auch in Thüringen wieder ansässig wurde.

Biologisch, sagt Möslinger, seien sich Hunde und Wölfe nicht so unähnlich. Weshalb sie sich »verpaaren« könnten. Doch gebe es in Deutschland - anders als etwa in Italien - eben nur wenige frei lebende Hunde. Und nur wenige Wölfe. Ein Zusammentreffen der Tiere auf deutschem Boden ist schon deshalb ziemlich unwahrscheinlich.

Besagter erster Fall der neueren Zeit, in dem eine Wölfin und ein Hund gemeinsame Nachkommen hatten, ereignete sich laut Möslinger ebenfalls in Sachsen. 2003 seien aus dieser Verbindung insgesamt neun Mischlinge hervorgegangen - vier starben laut Möslinger bis zum Winter 2003/04. Zwei der Überlebenden seien eingefangen worden, die anderen seien verschwunden.

Es ist das Schicksal der beiden eingefangenen Hybridwelpen, auf welches das Thüringer Umweltministerium und die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) nun verweisen, wenn sie sagen, es sei besser, die Ohrdrufer Mischlinge zu töten, als zu versuchen, sie einzufangen und sie dann in einem Gehege zu halten. In Sachsen überlebten die beiden gefangenen Tiere in Unfreiheit nicht einmal ein weiteres Jahr. »Wenn die Welpen bei der Wölfin aufwachsen, verhalten sie sich dann auch wie Wölfe«, sagt Möslinger. Was auch meint: Es sind letztlich Wildtiere, mit einem Leben in Gefangenschaft können sie wohl nichts anfangen. Und weil das so ist, unterstützen selbst Naturschützer wie die des Thüringer BUND die Pläne des Umweltministeriums, die sechs Ohrdrufer Welpen zur Jagd freizugeben.

»So leid uns das um die Tiere tut«, sagt Thomas Mölich, der für den BUND Thüringen in der Landesarbeitsgruppe Wolf sitzt. »Als Verband tragen wir das schweren Herzens mit.« Im Sinne des Artenschutzes, sagt Mölich, sei das Töten der Tiere »alternativlos«. Man könne immerhin nicht wollen, dass sich eine Wolf-Hund-Mischart in Thüringen ausbreite und dann von der Mitte Deutschlands aus möglicherweise in andere Regionen der Bundesrepublik weiter ziehe. »Damit würde man eine Art fast so effektiv ausrotten wie damit, sie komplett zum Abschuss freizugeben.«

Ziemlich genau so sieht es Möslinger: »Die Hybriden sind auch geschützte Tiere, aber man entnimmt sie hier trotzdem aus der Natur, um den reinen Wolf zu stärken, damit die Hunde-Gene nicht zu dominant werden.«

Daran, dass die Tiere tatsächlich Hybriden sind, habe er keinen Zweifel, sagt Mölich. Er kenne die Arbeit der Bundesexperten und vertraue auf deren Einschätzung.

Für Mölich sieht auch in den gestiegenen Schafs- und Ziegenrissen rund um den Übungsplatz Ohrdruf einen Beleg für die These von der Wölfin und ihren Hybrid-Welpen. »Die Kills lassen sich durch den Nachwuchs leicht erklären«, sagt er. Insgesamt, sagt ein Sprecher des Thüringer Umweltministeriums, seien seit Juli 79 Nutztiere im Wolfsgebiet Ohrdruf getötet worden. Bei 58 der toten Tiere sei inzwischen amtlich festgestellt worden, dass ein Wolf der Angreifer gewesen sei.

Um die jungen Hybriden nun tatsächlich töten zu können, ist nach Angaben des Sprechers des Umweltministeriums nun erst einmal einiges Papier zu bewegen. Am Ende müsste das Umweltministerium das Landesverwaltungsamt - das in Thüringen als Obere Naturschutzbehörde fungiert - beauftragen, einen Fachmann zu finden, der die Tiere erlegt. Worauf auch Mölich besteht. Es müsse so weit wie möglich ausgeschlossen werden, dass die Wölfin bei dem Versuch erschossen werde, ihren Nachwuchs zu töten, sagt er. »Aber ein Restrisiko bleibt natürlich.«

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