Das Friedwald-Problem

Naturschützer sind um Bäume und Ökosysteme besorgt

  • Filip Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit der letzten Ruhestätte im Wurzelgeflecht eines Baumes schloss sich einst für Nomadenvölker ein naturreligiöser Kreis. Vereinzelt in Mode kam diese idealisierende Bestattungsform erst wieder im 19. Jahrhundert, so durch Forstleute wie Heinrich von Cotta, der im Tharandter Wald bei Dresden unter Eichen ruht. Der Thüringer gilt indes als Begründer nachhaltiger Forstbewirtschaftung, weshalb ihm kaum gefallen dürfte, wie Waldbestattungen heute als regelrechter Trend vermarktet werden.

Dabei klingt es gerade in einer zunehmend ökonomisierten Welt sehr verlockend, seinen Frieden fern etablierter Friedhöfe und uniformer Reihengräber zu finden: tief in der Natur unter Gottes freiem Himmel. Indes sehen gerade Kirchen diesen Zeitgeschmack mit Unbehagen. Denn er verzichtet teils auf christliche Symbolik und entzieht sich zumeist geweihtem Boden. So ist es maßgeblich ihrem Widerstand geschuldet, dass gerade im Osten bisher nur wenige Urnenwälder eröffneten. Beistand kam naturgemäß von Handwerkern, die ihr täglich Brot am Friedhof verdienen, etwa Gärtner und Steinmetze, sowie von Kommunen.

Um nicht wenig Geld geht es natürlich auch in jenen Bestattungswäldern, seit diese ab 2001 in deutschen Forsten eröffnen dürfen. Ihre Zahl liegt inzwischen bei rund 200, die meisten gibt es in Nordrhein-Westfalen (39), Baden-Württemberg (21) und Bayern (15). Ganz hinten rangieren Thüringen mit vorerst nur einem Baumgrabrevier sowie Sachsen und Sachsen-Anhalt mit je vier. Träger sind meist Gemeinden in der Nähe großer Städte oder private Waldbesitzer, die mit dem eigentlichen Betrieb dieser Sonderforste dann Spezialfirmen betrauen. Die bekanntesten heißen RuheForst (65 Urnenwälder) und FriedWald (60), beide in Hessen beheimatet. Und da es sich offenbar gut rechnet, ließen sie diese Namen längst auch markenrechtlich schützen.

Selbst im Adel setzt man so auf dieses offenbar lukrative Modell. Nicht weniger als 16 deutsche Geschlechter betreiben Urnenwälder, darunter die Hohenzollern, die Prinzen von Sachsen und Hessen, das Fürstenhaus Bismarck. Jüngst ging nun auch der bisher als Winzer bekannte Georg Prinz zur Lippe unter die Waldbestatter - er eröffnete solch ein Areal in Oberau bei Meißen.

Angesichts von rund 32 000 deutschen Friedhöfen handelt es sich zwar noch immer um eine kleine Nische, doch auch die erhält zunehmend Gegenwind. Zum einen merken Hinterbliebene, die damit den letzten Willen ihrer Lieben erfüllten, was sie sich da aufgeladen haben: ein Grab in einem abgelegenen Forstflecken, kaum erreichbar mit Bahn und Bus, ohne barrierefreien Zugang. Solche Baumgräber sind zwar pflegeleicht und damit relativ kostengünstig, bei Schnee und Eis oft aber über Wochen weltabgeschnitten. Zudem verwehren die Betreiber den Trauernden das Aufstellen von Grabstein und Grabschmuck, selbst Blumen werden sofort wieder entfernt. Denn um den Waldcharakter zu erhalten, sind die Grabstätten entweder anonym, oder den Namen des Toten verrät nur eine winzige Sammelplakette am Stamm. Immerhin erhalten jene, die damit einer technisierten Welt entfliehen wollten, nun GPS-Daten, um überhaupt ihren Baum wiederzufinden.

Und auch wenn die rot-rot-grüne Landtagsmehrheit in Erfurt soeben die Weichen für noch mehr Totenasche zwischen Baumwurzeln auch in Thüringen stellte, schlagen gerade Naturschützer verstärkt Alarm. Denn vor der Ausweisung als Urnenfeld wird der zuvor nachhaltig bewirtschaftete Wald teils parkartig nivelliert. Man entfernt neben ökologisch wertvollem Totholz auch jenen Unterwuchs, der eigentlich der Naturverjüngung dient. Zudem entstehen unerwünschte Trampelpfade. So befürchtet Uwe Langrock, Chef des Nabu im holsteinischen Pinneberg, durch einen in der Region geplanten Urnenwald eine anhaltende »Störung des empfindlichen Ökosystems«. Immerhin werden die Waldfriedhöfe für 99 Jahre angelegt. Allein das Verbringen der Urnen mit der Totenasche im Wurzelgeflecht zerstöre das Bodenprofil, womit seltene Pilzarten »unwiederbringlich verloren« gingen.

Nicht minder kritisch sehen Umweltexperten den Ascheeintrag selbst, da sich die Urnen mit der Zeit selbst auflösen. Jede Urne enthält bis zu drei Kilo Totenasche. Und da pro Baum bis zu zehn Urnen beigesetzt werden, summiere sich das bei hundert Bäumen je Hektar auf nahezu drei Tonnen Asche, errechnete der Hamburger Landschaftsplaner und Natursachverständige Andreas Morgenroth, der sich derzeit bundesweit sehr kritisch mit den Bestattungswäldern beschäftigt.

Zudem werden Verstorbene in den Krematorien auch samt künstlicher Hüftgelenke, Zähne oder Prothesen verbrannt. Damit, so Morgenroth, erhalte ihre Asche auch die darin enthaltenen Stoffe sowie womöglich Schwermetalle aus Ofenbeschichtungen wie Chrom, Nickel, teils Kadmium. Da man beim Nabu beobachtet, dass sich allein damit der pH-Wert des Waldbodens drastisch erhöht, gaben das Umweltbundesamt und die Deutsche Bundesstiftung Umwelt inzwischen Studien in Auftrag. Sie sollen den Ursachen sowie dem Grad dieser Belastungen nachgehen. Und so holt die schnöde technische Welt längst auch wieder die romantischste Hoffnung auf friedvolle Ruhe unter hohen Wipfeln ein.

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